5 Fachartikel zu SysML im INCOSE Special Issue
INCOSE hat ein Special zum Thema SysML veröffentlicht, das noch bis zum 15. April 2022 kostenlos bei Wiley gelesen werden kann. Danach ist es kostenpflichtig, bzw. benötigt eine Mitgliedschaft.
Das wichtigste zuerst: Hier ist der Link zum Special Issue, welches aus fünf Papers besteht. Im Folgenden die Zusammenfassung der Veröffentlichungen:
Employing SysML to model and explore levels-of-service: The case of passenger comfort in railway transportation systems
SysML kann viel – aber nicht alles. Zum Beispiel fehlt eine offensichtliche Möglichkeit, Verkehrsqualität (Level of Service, LoS) für Transportsysteme abzubilden. Die Autoren setzen SysML-Profiling ein, um dieses Problem zu lösen. Dazu schaffen sie einen Implementierungsrahmen, der die Definition von LoS-Parametern ermöglicht. Diese basieren auf Systemanforderungen, LoS-Anforderungen, sowie Schätzungen des zu erwartenden LoS. Die Einhaltung der Anforderungen kann dann mit Simulationen überprüft und optimiert werden. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Komfort der Fahrgäste als Hauptleistungsindikator.
Zu dem Paper gehört auch eine Case Study, welche die Autoren auf die Metro in Athen anwenden. Anhand von Daten, die von der Metro zur Verfügung gestellt wurden, wurde der Fahrgastkomfort ermittelt (z. B. hat die Linie 1 den LoS „C“). Über Simulationen konnte das Team dann verschiedene Szenarien durchspielen, wie höhere Taktfrequenzen und Ausfälle von Zügen.
Verifying SysML activity diagrams using formal transformation to Petri nets
Es gibt eine Reihe von Modellierungssprachen. Manche sind mehr, andere weniger formal. Formale Sprachen ermöglichen Analysen, die mit weniger formalen Methoden nicht realisierbar sind, zum Beispiel mathematische Beweisführung. SysML wird manchmal auch als „semi-formal“ bezeichnet. Die Autoren von diesem Papier beschreiben einen Weg, in SysML modelliertes Verhalten in Petri-Netze zu überführen, um den Formalismus von Petri-Netzen nutzen zu können.
Ich finde diese Richtung der Forschung hochinteressant, da die Möglichkeiten der formalen Modellierung mit der Akzeptanz von SysML verknüpft werden. Wir bekommen das beste aus beiden Welten.
Eine Transformation ist, wie zu erwarten, nur mit Einschränkungen möglich. Die Autoren haben einen Katalog von Transformationsregeln aufgestellt. Der Teufel steckt im Detail, wie im folgenden Beispiel zu sehen ist. Weiterhin haben die Autoren auch unterschiedliche, äquivalente Transformationen entdeckt.

Systems modeling language extension to support modeling of human-agent teams
Wir entwickeln für Menschen. Daher ist die Interaktion von Menschen mit Systemen einer der wichtigsten Aspekte der Systementwicklung. Zu diesem Zweck haben die Autoren eine Erweiterung der SysML zur Beschreibung und Erfassung der Struktur und der angenommenen Interaktion von Mensch-Agent-Teams vorgeschlagen. Teil der Arbeit ist eine entsprechende Methodik. Zunächst werden dabei die Konzepte des Systems erfasst. Die Methodik ermöglicht dann die Ableitung von Anforderungen, Struktur und High-Level-Aktivitäten, die als Grundlage für systemspezifische Systemmodelle dienen können.
Ich bin ein bisschen skeptisch, wie viel Mehrwert dieser Ansatz in der Praxis wirklich bringt. Die Autoren gestehen ebenfalls ein, dass sie den Ansatz noch weiter ausbauen müssen, weil er unvollständig ist. Dennoch: Die Notwendigkeit einer systematischen Analyse der menschlichen Systeminterkation steht außer Frage. Daher begrüße ich Forschung in diese Richtung.
Model-driven architecture based security analysis
Angriffssicherheit ist ja schon seit Jahren ein wichtiges Thema. Die Autoren schlagen einen modellbasierten Ansatz für die Sicherheitsanalyse vor, der aus drei Schritten besteht. Im den ersten zwei Schritten werden sowohl die Sicherheitsanforderungen als auch das System konzeptionell modelliert. Im dritten Schritt werden diese Modelle für die Überprüfung transformiert. Hierbei wird SysML-Profiling eingesetzt.
Ein neues Profil ermöglicht eine formale und temporäre Modellierung von Angriffen Ein weiteres Profil ermöglicht die Weitergabe von Datenströmen zwischen verschiedenen, meist heterogenen Kommunikationsteilsystemen.
Anwender können über Transformationen die Modelle weiter verwerten, zum Beispiel für das Überprüfen per Modelchecker (NuSMV).
Fast wichtiger finde ich, dass dieser Ansatz sicherstellt, Angriffssicherheit frühzeitig in die Architektur aufzunehmen. Das Automatisierungspotential des Ansatzes unterstützt dies ebenfalls.
Comparative analysis of a model-based systems engineering approach to a traditional systems engineering approach for architecting a robotic space system through knowledge categorization
Dieses letzte Paper fand ich persönlich nicht extrem innovativ, aber wichtig. Für die Leser dieses Blogs ist es offensichtlich, dass ab einer bestimmten Systemkomplexität MBSE ein sinnvoller Ansatz ist. Doch in vielen Unternehmen müssen Entscheider immer noch Überzeugungsarbeit leisten, dass sich MBSE lohnt. Dieses Paper unterstützt Entscheider bei dieser Argumentation.
Ich würde das Vorgehen der Autoren als „klassisch“ bezeichnen, Sie schaffen ein Framework für die Architektur, dass auf MBSAP, MagicGrid und STRATA basiert. Dieser deckt die drei Organisationsebenen des Systems sowie die Struktur-, Verhaltens-, Daten- und Anforderungsperspektive ab. Die Autoren verglichen diesen Ansatz mit Hilfe einer Fallstudie mit dem dokumentenbasierten Ansatz.
Die Autoren klassifizierten die Artefakte beider Ansätze mit Hilfe der Revised Bloom’s Taxonomy, was einen quantitativen Vergleich ermöglichte. Nicht verwunderlich ist, dass die Autoren nachweisen konnten, dass MBSE das Architekturwissen vollständiger erfasst als der dokumentenbasierten Ansatz, wie aus dieser Tabelle ersichtlich ist:
Allerdings bin ich aus zwei Gründen mit dieser Schlussfolgerung nicht ganz zufrieden: Erstens handelt es sich hier um eine hypothetische Fallstudie. Es wäre wesentlich überzeugender, wenn das zu entwickelnde System auch wirklich gebaut werden würde.
Der Vergleich von MBSE mit Microsoft Office ist nicht fair oder realistisch.
Noch problematischer finde ich, dass die Autoren MBSE mit Microsoft Office verglichen haben (Word, Excel, Powerpoint). Denn zwischen diesen zwei Extremen gibt es viele Optionen. Insbesondere ermöglichen moderne Anforderungsmanagementsysteme eine primitive Entity-Relationship-Modellierung. Diese ist zwar weit von MBSE entfernt, hat aber einen extrem hohen Nutzen.
Fazit
Dieses Special zu SysML der INCOSE gefällt mir. Schade, dass die Inhalte nur bis zum 15. April verfügbar sind.
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