Die Ebenen der Komplexität – und was sie uns kosten
Über den Tag des Systems Engineering 2016 wurde hier schon mehrfach berichtet. Diesmal werden in einem Gasbeitrag die Ergebnisse einer Teilnehmerumfrage zum Thema „Komplexität“ veröffentlicht. Die Umfrage wurde von Odego durchgeführt, einem Hamburger Unternehmen, welches sich auf Modularität und Variantenmanagement spezialisiert hat. Im folgenden beschreibt Dr.-Ing. Sandra Eilmus, die Geschäftsführerin von Odego, wo die Kosten der Komplexität auftreten. Diese betreffen übrigens nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Qualität und Nerven.
Gastbeitrag von Sandra Eilmus
Was kostet die Komplexität? Diese Frage haben wir Teilnehmern aus Industrie und Wissenschaft auf dem Tag des Systems Engineering (TdSE) 2016 im Oktober in Herzogenaurach gestellt. Dazu haben wir im Rahmen eines World Cafés verschiedene Ebenen der Komplexität vorgestellt und die Teilnehmer bewerten lassen, auf welcher dieser Ebenen die Komplexität Geld, Zeit, Qualität und Nerven kostet.
Die Komplexität des Marktes – ein Zeitfresser
Unter Marktkomplexität verstehen wir die Komplexität, die durch variierende Kundenanforderungen, Ländergesetzgebungen, regionales oder branchenspezifisches Marktverhalten hervorgerufen wird. Da es Ziel eines Unternehmens ist, einen möglichst breiten Markt zu erreichen, ist sie Marktöffner und notwendiges Übel in einem und wird als besonders zeitintensive Ebene der Komplexität verstanden, wie in der Abbildung zu sehen ist. Fortschreitende Globalisierung auch in der Normung und Gesetzgebung im Handel werden allerdings als Chance verstanden, diese Komplexität zu reduzieren. Die notwendige Zeit tatsächlich investieren, um die Marktkomplexität zu verstehen und zu beschreiben, ermöglicht erst ein effektives Komplexitätsmanagement auf allen folgenden Ebenen der Komplexität.
Produktkomplexität beherrschen, um Kosten und Qualität in den Griff zu bekommen
Direkte Folge der Marktkomplexität ist die varianzinduzierte Produktkomplexität. Sie beschreibt Komplexität, die durch die Vielzahl der Produktvarianten hervorgerufen wird. Ein Produkt kann außerdem eine technische Komplexität an sich aufweisen, die aus der Vielzahl an Komponenten und Schnittstellen sowie technischen Zusammenhängen resultiert. In der Produktkomplexität hat der Großteil der Teilnehmer Ursachen für hohe Kosten und Aufwand zur Gewährleistung der Produktqualität gesehen. Um sowohl varianzinduzierte als auch technische Produktkomplexität zu beherrschen, werden modulare Produktarchitekturen entwickelt. Sie sind Ausgangsbasis für wichtige Marktvorteile komplexer Produkte bezüglich Kosten und Qualität.
Komplexe Prozesse kosten ordentlich Nerven
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Im Vergleich zu den vorgelagerten Ebenen der Komplexität geht die Komplexität, die aus der Vielzahl, Veränderlichkeit, Varianz und der Abhängigkeit von Prozessschritten entsteht, tatsächlich auf die Nerven. Prozesskomplexität ist sicherlich eine Folge aus Markt- und Produktkomplexität, wird aber verstärkt durch komplexe IT-Systemlandschaften, interdisziplinäre Breite und fehlende Transparenz. Eine frühe Einbindung aller Bereiche in die modulare Architekturentwicklung und alle daraus resultierenden Fragen der Prozessgestaltung ist für die Kernteams der Architekturentwicklung oft herausfordernd. Aber gerade diese frühe Kommunikation und Zusammenarbeit sind es, die wesentlich nervenaufreibendere Probleme im Produktleben verhindern.
Die Organisation als Bremse
Die Organisationskomplexität – gekennzeichnet durch Vielzahl, Abhängigkeiten und Verschachtelung von Organisationseinheiten und resultierenden Abstimmungswegen – kostet in der Wahrnehmung der Teilnehmer mit Abstand am meisten Zeit und Nerven. Durch die Architekturgestaltung verändern sich die Produkte und dies ermöglicht andere Prozesse. Eine Anpassung der Organisation erfolgt zumeist nicht. Um Markt- und Produktkomplexität zu beherrschen, werden modulare Produktarchitekturen geschaffen, die Potenziale für die Prozesse bieten. Dass am Ende dieser Kausalkette eine Organisation steht, die bezüglich ihrer Struktur und ihrer Kultur die Veränderungen implementieren können muss, wird oft übersehen. Um die Organisation für den erfolgreichen Umgang mit Komplexität zu rüsten, muss das dazugehörige Fachwissen tief verankert werden, alte Strukturen sind aufzubrechen.
Der ganzheitliche Ansatz zählt
Um nachhaltig Komplexität zu beherrschen, ist es unumgänglich, alle genannten Ebenen der Komplexität zu betrachten. Dieses Fazit aus dem World Café auf dem TdSE 2016 deckt sich mit den Erfahrungen aus unserer Arbeit mit diversen Kunden des Maschinen- und Anlagenbaus. Ein interdisziplinäres Kernteam, die richtige Auswahl zielführender Methoden auf jeder dieser Ebenen und flexible Möglichkeiten der Analyse und Visualisierung ermöglichen es, die Komplexität wirklich in den Griff zu bekommen.
Über Odego
Odego berät, befähigt und unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung komplexer Produkte und ist eine Ausgründung der Technischen Universität Hamburg-Harburg TUHH.
Auf dem Industrieforum für Macher der Modularisierung am 01. Juni 2017 bieten wir die Möglichkeit, diese und weiterer Aspekte der Komplexität mit Vertretern anderer Unternehmen zu diskutieren. Dazu wird die Veranstaltung gezielt interaktiv gestaltet.