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SysML mit SAP – geht das?

Bei Werkzeugen für die Systemmodellierung denkt man nicht unbedingt als erstes an SAP. Daher war ich überrascht, als Christian Markus, ein Leser von SE-Trends, darauf aufmerksam machte. Kurzerhand habe ich ihn eingeladen, einen Gastartikel zu dem Thema zu schreiben.

Gastartikel von Christian Markus

Wie auch in diesem Blog zuletzt dargestellt, gibt es für das hoch aktuelle Thema MBSE eine Reihe gut etablierter Lösungen – klar dominant hierbei der Cameo Systems Modeller. Allerdings kam in den Diskussionen rund um den TdSE 2020 auch die Sorge auf, ob die angestrebten PLM Szenarien mit den existenten Werkzeugen realisierbar sein werden. Nicht zuletzt deshalb endete wohl auch die Betrachtung der bekannten und verwendeten MBSE Tools in Michaels Beitrag mit dem Wunsch nach neuen Wettbewerbern im MBSE Umfeld.

Nach meiner Anmerkung, dass es mit SAP durchaus einen neuen Anbieter gäbe, kam die Idee auf, den Ansatz von SAP hier einmal vorzustellen und grob einzuordnen.

Mit der Lösung SAP Enterprise Produkt Development (SAP EPD) betritt SAP also die Bühne der Systemmodellierungstools und wird damit zu einem Anbieter im Bereich MBSE.

Obwohl die Lösung schon ein paar, wenn auch relativ wenige, Jahre in der Entwicklung ist, wird sie doch bisher kaum in der SE-Community wahrgenommen. Das hat sicherlich verschiedene Gründe. Zum einen erwartet man hier von SAP nicht unbedingt eine Lösung, zum anderen ist sie auch nicht ‚nur‘ ein Modellierungstool für die SysML. Aber eben auch.

Bild: Requirements Management and System Modelling – SysML Editor (Bildquelle: SAP)

Nicht nur Modellierung

SAP EPD ist genau genommen erstmal ein Portfolio von SAP Cloud Plattform Lösungen im Bereich Product Lifecycle Management. Momentan besteht es aus vier „Capabilities“, und zwar Engineering, Prozesse (Collaboration), Visualisierung und Integration (Connected Products).

Schaut man dann in die Engineering-Capability weiter rein, besteht sie aus den Apps bzw. Funktionalitäten zu den Themen Erhebung und Management von Anforderungen, Systemmodellierung und Test Management.

Der zentrale Baustein aus Systems Engineering Perspektive ist sicherlich das etwas sperrig benannte SAP EPD Requirements Management und System Modelling. Im Prinzip handelt es sich um ein SysML Modellierungs- und Anforderungsverwaltungstool. Weiterhin wichtig sind aber auch die Lösung zum Erheben von Anforderungen die hilft Daten, Ideen und Feedback für das Requirements Engineering zu sammeln und in Anforderungen zu überführen, das Test Management, das hilft die rechte Seite des V-Modells abzubilden und die Collaboration, die die Prozessaspekte des Systems Engineering adressiert. Diese Lösungen zusammen firmierten bis zuletzt als SAP Intelligent Product Design – oder SAP IPD.

SAP EPD Visualizations ermöglicht es, Daten aus der Anforderungs- und Systementwicklung, wie auch Business Objekte aus SAP Systemen mit 3D Modellinstanzen zu verknüpfen und so visuell zugänglich zu machen. Die „Connected Products“ schließlich integriert Simulationen, IoT Szenarien und Softwareentwicklung in das Portfolio. Technisch baut „Connected Products“ einerseits auf SAP IoT auf. IoT Services von AWS und Azure sind hiermit problemlos integrierbar. In Richtung Simulation und Softwareentwicklung besteht eine Zusammenarbeit mit Ansys. Insbesondere die Lösungen SCADE Suite und Medini Analyse stehen hier im Fokus.

Wie ist SAP EPD unter SE Gesichtspunkten einzuordnen?

Ich denke, das Gute, wie auch das Schlechte geht in diesem Fall auf denselben Ursprung zurück: es ist eine sehr junge Lösung.

Zunächst zum Guten. Technologisch ist SAP EPD auf der Höhe der Zeit. Als SAP Cloud Plattform Applikation bietet es sehr gute Möglichkeiten Datenelemente miteinander zu verknüpfen und so sehr durchgängige PLM Szenarien mit MBSE Integration aufzubauen. Inhärent lässt sich die vertikale und horizontale Traceability im Produktentwicklungsprozess ohne große Aufwände darstellen, wobei diese problemlos bis hin zu Business Objekten in SAP oder auch Fremdsystemen erweitert werden kann.

Bild: Impact and Lineage Analyse in Requirements Management and System Modelling – Beispiel Anforderungen, Systemelemente und Testfälle (Quelle: SAP)

Daten aus verschiedensten Quellen lassen sich in den Requirements Engineering / MBSE Prozess integrieren und am anderen Ende können in SAP EPD erarbeitete Daten leicht weiterverwendet und verknüpft werden.

Ganz ohne Erweiterungen wird man zwar auch bei SAP EPD noch nicht auskommen, aber die Aufwände für Schnittstellenentwicklungen sind gegenüber on-premise Lösungen deutlich geringer, da eine einfache Ansprache der Lösung über APIs möglich ist. Zur Integration SAP fremder externer Objekte in EPD stehen Templates bereit. SAP S/4HANA Systeme sind ab Release 1809 ‚out-of-the-box‘ mit der Lösung integriert.

Die Arbeit im webbasierten Frontend setzt keine Clientinstallation und somit auch keine besonderen Hardwareanforderungen voraus. Als SAP Cloud Plattform Lösung ist ein Betrieb auf eigenen Servern ist nicht vorgesehen. Momentan stehen AWS und Azure als Cloud Provider zur Verfügung.
Abgesehen von diesen technologischen Aspekten, ist die Integrierbarkeit, der in SAP EPD erarbeiteten Anforderungen und Modellelemente, im gesamten PLM Prozess auch explizites Ziel der Entwicklung der Lösung, was bei einer so jungen Lösung sicher noch erwähnenswert ist.

Platz für Wachstum

Negativ muss man momentan natürlich sagen, dass es im SE-Kernbereich für einzelne Funktionen des Portfolios immer auch ausgereiftere Best-of-Breed Lösungen gibt, die schon viele Jahre länger in der Entwicklung sind. So kann SAP EPD sicherlich nicht denselben Umfang wie ein Cameo Systems Modeller als SysML-Modellierungswerkzeug bieten. Relative Schwächen lassen sich hier z.B. noch in der Navigation in Modellen und der Erarbeitung eigener SysML-Profile ausmachen. Auch das Portfolio an Drittanbieter Erweiterungen und anhängigen Lösungen ist im Vergleich noch sehr gering.

Das heißt, dass man mit den etablierten Werkzeugen momentan sicherlich eine größere Menge an unterschiedlichen SE Use Cases darstellen kann. Insbesondere wenn ich mich auf Teilaspekte des Systems Engineering Prozesses fokussiere und mir ‚die Klassenbesten‘ heraussuche.

Liegt mein Fokus aber auf Integration von (MB)SE im gesamten PLM Prozess und liegt mein SE Use Case im Funktionsumfang von SAP EPD lohnt sicherlich ein genauerer Blick. Die Weiterentwicklung zu beobachten wird auf jeden Fall spannend.

Bildquelle: Pixabay (Waage), SAP, OMG (Logos)

Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends