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AutomotiveModellierung & MBSE

Schafft Daimler die Einführung von Model-Based Systems Engineering (MBSE)?

Diese Woche fand die ReConf in München statt. Ein thematisch für diesen Blog spannender Vortrag (und Keynote) wurde von Dr. Siegmar Haasis gehalten, CIO bei Daimler. Dabei ging es um die dortige Einführung von MBSE.

Um es vorweg zu nehmen: Die Qualität der Keynote war eher durchwachsen. Teilweise wurden die Aussagen eher schwach oder gar nicht belegt, und die Werbespots hätten auch nicht sein müssen. Das ändert aber nichts an der Relevanz von diesem Vortrag.

Timing und Standards

Timing ist alles, und für Dr. Haasis ist nun der richtige Zeitpunkt für MBSE. Dies liegt nicht nur an der steigenden Komplexität, sondern auch wegen radikal neuer Funktionen (autonomes Fahren, E-Auto) und dem Innovationsdruck. Schon heute hat Daimler 30 Fahrzeug-Derivate, und in den nächsten Jahren werden mindestens zehn weitere dazukommen. Die Treiber für MBSE bei Daimler sind Komplexität, Variantenmanagement und Konfiguration.

Standards, Standards, Standards!

Strategisch gibt es bei Daimler vier Bereiche mit Handlungsbedarf, die auch auf dem Bild weiter unten zu sehen sind:

  • Zusammenarbeit mit Lieferanten, insbesondere im Internationalen Umfeld. Eine zentrale Rolle nehmen hierbei offene Standards ein, wobei JT und ReqIF als Beispiele genannt wurden. Denn Standards erlauben erst, in einem heterogenen Umfeld aktiv zu sein.
  • Komplexität und Varianz der Produkte. Dies ist sicherlich kein neues Thema, allerdings hat es sich durch den technischen Fortschritt und den Anspruch der Kunden noch verschärft. Modularität ist hier ein Stichwort. Insbesondere ist ein einfacher Systembaum „eindimensional“ nicht mehr ausreichend. Statt dessen schlägt er eine „modulbasierte Mehrdimensionalität“ vor. Ich muss allerdings gestehen dass ich nicht ganz sicher bin, wie ich mir das vorzustellen habe.
  • Digitale Prototypen. Hier war die Aussage klar: Es muss noch mehr digital simuliert werden, bevor Prototypen gebaut werden. Dr. Haasis wies darauf hin, dass ein Prototyp in der frühen Phase ca. € 1.000.000 kostet. Da zur Zeit dutzende, oder sogar hunderte gebaut werden, gibt es hier signifikantes Sparpotential.
  • Prozessintegration, einschließlich Partnern. Dies ist eine Weiterführung des ersten Punktes, nur auf einer anderen Ebene.

Dr. Haasis auf der ReConf 2016

Weg von Text

Spannend fand ich auch das nächste Thema, dass textuelle Anforderungen nicht mehr weiter skalieren. Ich selbst haben erleben müssen, das selbst für kleine Zuliefererkomponenten zehntausende von Anforderungen vom Hersteller an den Zulieferer übergeben werden. Auch dies ist ein Bereich, wo das ReqIF-Format (Requirements Interchange Format) eine zentrale Rolle spielt. ReqIF wird zur Zeit bei Daimler eingeführt, der Prozess orientiert sich an der erfolgreichen Einführung von JT. Dazu hat Daimler übrigens auch die Gründung eines Workflow-Forums unter der Schirmherrschaft der ProStep unterstützt.

Interessant war, was unter Modellierung überhaupt verstanden wird. Dabei sah Dr. Haasis Use Cases als das wichtigste, bzw. führende Modellierungselement an. Weiterhin behauptete er, dass damals CAD ohne einen Business Case eingeführt wurde, genauso wie heute MBSE ohne Business Case eingeführt wird. Wie er zu dieser Aussage kommt, kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

Kultur

Im Anschluss hatte ich noch die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. In meiner Arbeit bin ich gerade in großen Konzernen auf kulturelle Probleme gestoßen, wo der Schritt vom Komponentendenken zum Systemdenken vielen traditionellen Ingenieuren schwer fällt, und es teilweise auch aktiven Widerstand gibt. Daher interessierte mich ganz besonders, wie bei Daimler der kulturelle Umbruch zum MBSE gelebt wird.

Kultur ist nicht technokratisch und hat viel mit Denkweise zu tun. Kultur lässt sich nicht verordnen.

Dr. Haasis nutze eine Oase als Analogie. Man müsse punktuell beginnen und dann den Einflussbereich konzentrisch ausdehnen und über Success Stories und eigene Erfahrung Enthusiasmus generieren.

Dem stimme ich zwar grundsätzlich zu, aber meiner Meinung nach gehört da noch eine Menge mehr dazu. Insbesondere kommt der Mehrwert von MBSE erst ab einer bestimmten Größe zum Tragen. Wirklich zufriedenstellend war die Antworten nicht, auch wenn sie mit hübschen Analogien untermalt war.

Auch der abschließende Werbespot von Daimler ließ den Vortrag nicht in bester Erinnerung zurück. Schade, denn das Thema selbst ist wirklich spannend.

Titelbild: Daimler

Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends