Die #TdSE Keynotes 2016
Wenn dieser Artikel veröffentlicht wird, dann ist der zweite Tag des TdSE schon voll im Gange. Der Erste Tag hat bereits viel Spaß gemacht, und im Folgenden gibt es eine Zusammenfassung der zwei TdSE Keynotes von Tag Eins.
Schaeffler zur Einführung von Systems Engineering
Der TdSE findet dieses Jahr in Herzogenaurach statt, dem Hauptstandort von Schaeffler, wo diese ein eigenes Konferenzzentrum betreibt und als Gastgeber agiert. Selbstverständlich ist es da angemessen, dass eine der zwei Keynotes von Schaeffler gestellt wurde. Uwe Wagner ist Senior VP R&D im Automotivebereich.
Der erste Teil umriss die Aktivitäten von Schaeffler, die ca. 80% ihres Umsatzes im der Automobilindustrie generieren. Traditionell kommt Schaeffler aus der Mechanik, ist aber auch schon lange in der Mechatronik unterwegs. Die aktuelle Herausforderung ist jedoch der Wandel hin zu Services. In anderen Industrien ist dieser Wandel ja schon deutlich fortgeschritten. Ich muss da an Flugzeugtriebwerke denken, die den Wandel schon zu großen Teilen durchgemacht hat, und nicht mehr Triebwerke verkauft, sondern Flugstunden. Dieser Wandel wird natürlich auch von den Kunden selbst getrieben.
Von den Automobilherstellern kommt die Aussage, dass sie nun Mobilitäts-Provider sind, und nicht mehr nur Hersteller von Fahrzeugen (Uwe Wagner)
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Wie kommen wir dahin?
Wirklich spannend war der letzte Teil des Vortrags, der meiner Meinung nach einen wesentlich größeren Teil des Vortrags hätte einnehmen sollen: Wie schafft es ein traditionelles Unternehmen wie Schaeffler, systemisches Denken einzuführen? Laut Herrn Wagner ist dieses Umdenken im vollen Gange und wird auch gelebt.
Die Stichworte für den Wandel sind Process, Method, Tool, kurz PMT. Ein ganz wichtiger Aspekt: Der Wandel ist im Management verankert, und zwar im Business und Corporate Bereich.
Die Eckpunkte für die Einführung von SE bei Schaeffler sind Prozesse, Methoden und Werkzeuge (PMT)
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Im Corporate-Bereich wird PMT aufgebaut, unterlegt mit dem Schlagwort: „Built-up PMT“. Im Business-Bereich wird PMT angewendet, mit dem Schlagwort: „PMT in Action“. Jeder der zwei Bereiche wird als Kreislauf visualisiert, wobei sich die Kreise der beiden Bereiche berühren und damit eine liegende Acht darstellen. Von diesem Ausgangspunkt an findet eine Verfeinerung statt, die sich dann in vielen Details manifestiert, auf die in der Keynote natürlich nicht eingegangen werden konnte.
Weiterhin wurden fünf Kernelemente für eine erfolgreiche Systementwicklung vorgestellt, und zwar:
- Projekt Organization
- System Architecture and Design
- Requirements Managment
- System validation
- Quality management
Gerade das Thema der Einführung von Systemdenken sehe ich auch bei meinen Kunden als eine der größten Herausforderungen an, und Schaeffler suggeriert hier, dass sie dazu einen erfolgreichen, inkrementellen Ansatz gefunden haben. Es ist wirklich schade, dass dieser Aspekt der Keynote nicht mehr Prominenz bekommen hatte.
Beyond Systems Engineering: European ETCS Rollout
Die zweite Keynote wurde von Markus Bolli gehalten. Als Experte für ETCS war ich natürlich sehr auf den Vortrag gespannt, da ich mich ja mehrere Jahre im Rahmen des openETCS-Projekts intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hatte.
Es ging zwar um Eisenbahnen (ETCS) in diesem Vortrag, doch das war eher das Fallbeispiel, um das eigentliche Thema zu transportieren, nämlich Kommunikation. Wie schwierig das ist, demonstrierte er am Beispiel des Wortes „Prozess“, welches drastisch unterschiedliche Bedeutungen hat für Chemiker, Ingenieure und Juristen. Unter diesem Gesichtspunkt führte er den Begriff hyper-komplexer Systeme ein: Meine Interpretation dieser Bezeichnung ist das, was im SE oft unter dem Begriff „Systems of Systems“ läuft, und der daraus entstehenden nicht-deterministischen Komplexität. Er sah dies auch bezeichnend für die 4. industrielle Revolution, deren Definition man sich auf der Zunge zergehen lassen muss.
Forth Industrial Revolution: „Based on cypber-physical systems in an integral space-time-environment of hyper-complex cybernetic and autopoetic principles of an empathic society.“ (Markus Bolli)
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Aber wichtig ist es, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Und das Ziel ist es, effektiv zum Ergebnis zu kommen. Am Beispiel von ETCS zeigte Herr Boll, das hier ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, der unbedingt berücksichtigt werden muss.
Im 20. Jahrhundert werden Zugsignale vom Menschen verarbeitet, also Safety Integrity Level 0 (SIL 0). Im 21. Jahrhundert werden Signale in einem geschlossenen System verarbeitet, also SIL 4. (Markus Bolli)
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Über eine lineare Weiterentwicklung der bisherigen Ansätze kommen wir wohl nicht zum Ziel, ein Umdenken ist erforderlich. Hier zitierte er eine Variante des Ashbyshen Gesetzes, nämlich:
Die Komplexität eines Problems bestimmt die notwendige Komplexität der dafür geeigneten Lösung (Markus Bolli)
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Die Rolle des Dirigenten
Abgeschlossen wurde der Vortrag mit einer schönen Analogie aus der Musik: Ein Stück kann noch so perfekt sein, wie Mozarts Zauberflöte. Das Orchester kann noch so talentiert sein, wie die Wiener Philharmoniker. Aber wenn es keinen Dirigenten gibt, wird nichts aus der Musik.
Und so verhält es sich auch mit der Systementwicklung. Die Herausforderungen von hyper-komplexen Systemen erfordern einen Paradigmenwechsel und talentierte Dirigenten, die für eine erfolgreiche Umsetzung sorgen.
Bildquelle: Schaeffler via Twitter