Die Halbleiter-Achterbahn — 5 Lektionen für Systems Engineers
Als die Corona-Pandemie begann, wurden plötzlich viele alltägliche Produkte Mangelware. Während in den Supermärkten Klopapier ausverkauft war, machten sich Unternehmen um einen anderen „Rohstoff“ Sorgen: Microchips. Damals (2020) wurde prognostiziert, dass Halbleiter für viele Jahre Mangelware sein würden, bis neue „Fabs“ gebaut würden, um den Bedarf zu decken. Wie man sich irren kann…
Die Vielfalt von Halbleitern ist enorm. Im Digitalbereich haben wir CPUs, GPUs, Speicherchips, AD- und DA-Wandler und ein weites Spektrum von maßgeschneiderten Chips, um nur einige zu nennen. Im Analogbereich haben wir Hochspannungshalbleiter, Starkstromhalbleiter, spezialisierte Schaltungen und natürlich auch einfache Komponenten wie Transistoren und Dioden. Auch der Aufwand der Herstellung unterscheidet sich teils drastisch. teure Fabs werden in der Regeln nur für die aufwändigsten Microchips benötigt.
Dieser Vielfalt entsprechend gab es zwar punktuell in diversen Bereichen Lieferschwierigkeiten, wie Zeitweise bei Speicherchips, GPUs oder Spezialchips für die Automobilindustrie. Doch einen breiten Mangel quer durch alle Industrien gab es eigentlich nicht.
Lektion: Wir sollten uns möglichst nicht von genau einer Halbleiterkomponente abhängig machen. Diese Entscheidung sollte als Rahmenbedingung frühzeitig in die Anforderungen der Entwicklung mit einfließen.
In Punkt 1 ging es darum, sich nicht von einer bestimmten Komponente abhängig zu machen. Doch in der Praxis kommt dies dennoch vor. Wenn es passiert, wie können wir die Auswirkungen minimieren?
Lektion: Die Antwort ist (natürlich) Systems Engineering. Vernünftiges Systems Engineering entkoppelt die Teile des Systems voneinander, was es erheblich einfacher macht, mit der durch den Chipmangel hervorgerufenen Änderung umzugehen.
Gutes Systems Engineering hat noch weitere Vorteile. Die Komplexität von Systemen steigt drastisch (was ich hier schon oft erwähnte) und Systems Engineering hilft uns, diese Komplexität zu beherrschen.
Intel investiert 40 Milliarden in Ohio
Es werden neue Fabs gebaut. Zum Beispiel baut Intel zur Zeit zwei Fabs in Ohio. Der Standort hat genug Platz, um sechs weitere Anlagen dort aufzubauen. Und damit sind wir schon bei der zweiten Lektion: Geopolitik muss bei der Beschaffung berücksichtigt werden.
Intel investiert nicht ohne Grund in den USA. Schon seit Jahren zeichnet sich ab, dass es zu Krieg zwischen China und Taiwan kommen könnte. Im Jahr 2020 kamen ca. 25% aller Halbleiter aus China und Taiwan, heute knapp die Hälfte:
Der Ukraine-Krieg hat deutlich gezeigt, wie gefährlich die Abhängigkeit eines strategisch wichtigen Rohstoffs von einem Land sein kann. Halbleiter haben ebenfalls eine hohe strategische Bedeutung.
Lektion: Es reicht heute nicht mehr, mehrere Lieferanten zu haben. Diese sollten möglichst auch ihre Produktion in unterschiedlichen Regionen haben.
Es gab Zeiten, da war es für einen Produkthersteller undenkbar, die Halbleiterkomponenten selber herzustellen. Doch gerade bei Produkten mit größeren Stückzahlen hat sich das geändert. Genauer gesagt können solche Firmen die Halbleiter entwerten und von Lieferanten produzieren lassen, ohne dass sich daraus eine starke Abhängigkeit zum Lieferanten ergibt. Das bekannteste Beispiel für dieses Vorgehen ist Tesla, doch auch Cruise hat über dieses Vorgehen nicht nur Engpässe in der Lieferkette entschärft, sondern auch die Kosten um 90% senken können.
Lektion: Teams sollten regelmäßig hinterfragen, was sie selbst machen und was Lieferanten machen. Möglicherweise ergeben sich durch das Selbermachen noch viele weitere Vorteile.
Nun ja, leichter gesagt als getan. Nicht die Nerven zu verlieren ist übrigens nicht nur für die Käufer von Chips wichtig sondern auch für die Hersteller.
Um ein Beispiel zu nennen: Intel und Samsung haben zusammen $92 Milliarden in 2021 investiert, ein Anstieg von 73% im Vergleich zu 2019. Diese Hektik wurde unter anderem durch die Nachfrage von Grafikkarten geschaffen, diese wiederum durch die Goldgräberstimmung in der Cryptoindustrie. Doch als China letztes Jahr das Schürfen von Cryptowährungen verboten hatte, brach dieser Markt zusammen.
Lektion: Für Unternehmen ist wichtig, dass auch die Mitbewerber ähnliche Probleme haben. Panik und Kurzschlusshandlungen helfen nicht weiter. Statt dessen dürfen die Entscheider die Produktstrategie nicht aus den Augen verlieren, während sie akute Krisen taktisch klug meistern müssen. Wir leben in komplizierten Zeiten.
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