Großprojekte richtig Umsetzen: 5 Empfehlungen für Organisationen aller Art (Teil 2)
Letzte Woche (Teil 1) stellte ich die Forschungsergebnisse von Atif Ansar und Bent Flyvbjerg der Universität Oxford vor. Die Autoren argumentieren und belegen, dass Große Herausforderungen mit einer Plattformstrategie effizienter umgesetzt werden können als über einmalige Projekte.
Was wäre ein Paper ohne konkrete Empfehlungen? Zunächst bestätigen die Autoren, was eingangs eigentlich schon klar war: Plattformprojekte sind schneller, besser, günstiger und weniger riskant als konventionelle Großprojekte. Wichtiger ist, dass die Autoren belegen, dass ihre Ergebnisse auf andere Industrien übertragbar sind.
Im folgenden stelle ich die Empfehlungen der Autoren vor, die für private Firmen, Konzerne, Behörden oder Regierungen gleichermaßen anwendbar sind.
Update: Was ist eigentlich ein Großprojekt?
Zu Teil 1 dieses Artikels bekam ich die Rückmeldung, dass „Großprojekt“ ein eher schwammiger Begriff ist. Das habe ich nachträglich konkretisiert.
Das „Magische Dreieck“ ist ungültig
Plattformen stellen den traditionellen Mythos des Magischen Dreiecks im Projektmanagement in Frage, der besagt, dass Umfang, Kosten und Zeitplan in einem Nullsummenspiel miteinander verknüpft sind. Plattformen wie SpaceX widerlegen dieses herkömmliche Denken, indem sie einen größeren Umfang (Volumen und Vielfalt der Raumfracht) zu einem zehnfach geringeren Kostenfaktor und doppelt so schnellem Tempo liefern als herkömmliche Methoden.
Menge und Vielfalt
Konventionelles Denken sieht einen Kompromiss zwischen Umfang und Vielfalt vor. Die einmaligen Missionen der NASA waren sehr vielfältig – der zum Scheitern verurteilte Mars Observer trug acht Instrumente für wissenschaftliche Entdeckungen im Wert von fast $500 Millionen. Selbst wenn der Mars Observer erfolgreich gewesen wäre, hätte seine Fortsetzung genauso viel Zeit und Geld gekostet, um jedes einzelne Element neu zu gestalten. Im Gegensatz dazu sind Plattformen durch ihre Modularität auf Wiederholbarkeit ausgelegt.
Der anfängliche Vorteil dieser Wiederholbarkeit besteht in der Erhöhung des homogenen Volumens. Sobald diese Wiederholbarkeit vorhersehbar ist, folgt die Vielfalt auf der Skala durch die Kombination von Modulen auf unterschiedliche Weise. In einem positiven Kreislauf wird durch die Vielfalt mehr Volumen freigesetzt. So hat SpaceX zunächst wiederholbare und zuverlässige Starts seiner Falcon 9-Rakete durchgeführt, was zu erheblichen Kostensenkungen führte, die wiederum niedrigere Preise ermöglichten, was die Nachfrage ankurbelte, z. B. von Besitzern kleiner, kostengünstiger Satelliten. Dann begann SpaceX, Nutzlasten unterschiedlicher Größe zu bündeln, um die Kosten durch die oben erwähnten „Rideshares“ weiter zu senken. Die Autoren haben dies visualisiert:

Kurze Iterationen und schnelles Scheitern
Die Autoren betonen die Bedeutung von Plattformen im Raumfahrtbereich und wie sie exponentielle Wachstumsvorteile bieten. Dabei steht zunächst der Lerneffekt im Vordergrund und ist wichtiger als das Skalieren.
Gerade in der Entwicklungsphase sind Fehlschläge nicht nur normal, sondern ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Plattformen sind in der Lage, dieses Wissen in strukturierter Form zu konsolidieren und zu nutzen.
SpaceX zweigt, wie experimentelles Lernen effektiv genutzt werden kann. Die Firma begann mit grundlegenden Hypothesen und testete diese in geplanten Experimenten.
Misserfolge dienen dazu, Hypothesen zu überprüfen und Verbesserungen vorzunehmen. Dieser Ansatz führt zu positiven Lernkurven, bei denen Aktivitäten schneller und kostengünstiger werden, je öfter sie durchgeführt werden.
Die NASA Mars Observer Mission ist ein Gegenbeispiel. Statt mehrere Schritte mit Meilensteinen zu gehen, Bestand das Projekt aus einem einzigen, 17 Jahre langen Schritt — der scheiterte. Behörden haben oft Angst vor kleinen Fehlern und konzentrieren sich daher lieber auf große, langsame Fortschritte. Doch das kann zu größerem Scheitern führen.
Die Autoren loben NASA für den „Faster, Better, Cheaper (FBC)„-Ansatz. unternommen hat. Allerdings hat die Angst vor Fehlschlägen dazu geführt, dass die Organisation zu alten Mustern zurückgekehrt ist. Doch hier ist der überraschende Twist: Der Erfolg von SpaceX ist letztendlich auch ein Verdienst von NASA, da die Raumfahrtbehörde deren Ansatz unterstützt hat, der ein experimentelles Lernen ermöglicht.
Die Rolle des Systems Engineering
Die hier vorgestellten Empfehlungen richten sich an Entscheider und die Führungsebene von Organisationen. Doch das Systems Engineering spielt eine essentielle Rolle bei der Umsetzung dieser Empfehlungen. Insbesondere: Ohne Systems Engineering sind diese Empfehlungen sowieso nicht umzusetzen.
Insbesondere: Richtig praktiziertes Systems Engineering ermöglicht es, das Gelernte an den richtigen Stellen in der Entwicklung zu verarbeiten. Das funktioniert besonders dann, wenn Agilität mit eher traditionellen Konzepten wie Traceability vereint werden.
Fazit
Sowohl die Erkenntnisse aus auch die Empfehlungen dieses Papers sind für Leser von SE-Trends nicht wirklich neu. Doch dieses Paper ist dennoch wichtig: Es gibt Entscheidern eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlage, um in ihren Organisationen eine Plattformstrategie einzuführen. Das sind für viele Organisationen strategische, tiefgreifende Veränderungen. Weiterhin spricht es Empfehlungen aus, die Entscheider verstehen. Für die Umsetzung sind dann wir, die Systems Engineers, zuständig.