Komplexität und Wandel – auch in 2020

Vor einem Jahr machte ich ein paar Prognosen für das kommende Jahr. Ohne Zweifel waren in den letzten zwölf Monaten diesen Themen dominierend. Was sonst noch 2019 passiert ist und warum diese Themen noch auf Jahre hinaus relevant sein werden wird im Folgenden diskutiert.

Die Trends von 2019 haben sich erfüllt: Komplexität und Wandel waren heiß diskutierte Themen. Allerdings nicht immer so, wie ich es letztes Jahr beschrieben hatte.

Komplexität

Um die Komplexität in den Griff zu bekommen sah ich letztes Jahr „Predictive Product Development“ als eines der Ansätze, die dies in Griff bekommen könnte. Jama versuchte sich in diesem Feld mit dem Produkt „Jama Analyze“, welches allerdings in dieser Form nicht mehr am Markt ist.

Das bedeutet aber nicht, dass Analyse nicht zielführend ist, im Gegenteil: Immer mehr Werkzeuge für Business Intelligence treiben sich auf dem Markt herum, und Process-Mining erscheint mir als ein sehr spannender Ansatz, um die Analyseergebnisse in einen konkreten Mehrwert umzuwandeln. Allerdings werden beide Ansätze (noch) kaum in der Produktentwicklung eingesetzt. Das wird sich sicher mittelfristig ändern.

Ist Testen die Lösung für steigende Komplexität? Bestenfalls mittelfristig.

Wenn ich allerdings die Aktivitäten im Systems Engineering betrachte, so scheint das Thema Testen plötzlich erheblich an Popularität gewonnen zu haben. Das ist auch nicht verwunderlich: Es ist schon lange erwiesen, dass frühzeitiges Testen (auf allen Ebenen) Risiken drastisch minimiert und die Qualität erhöht. Dennoch wird das Testen klassischerweise als erstes gestrichen, wenn Liefertermine bedroht sind. Dass dies nicht funktioniert hat sich endlich herumgesprochen.

Beim Testen beseht auch viel Nachholbedarf. Beispielsweise werden Tests oft viel zu spät definiert. Frühzeitiges Testen ist ebenfalls ein geeignetes Mittel, um die Qualität zu erhöhen und Fehler zu finden – selbst wenn erst viel später getestet wird. Schon durch das Definieren von Tests werden oft Mängel in den Anforderungen, oder fehlende Anforderungen sichtbar.

Wandel

Der Wandel ist nicht nur nicht abgeschlossen, er beschleunigt sich sogar. Und hier ist wirklich kein Ende abzusehen.

Da kein Ende abzusehen ist, wird Wandel ein strategisches Thema und geht dementsprechend weit über das Systems Engineering hinaus. Während ich letztes Jahr mich primär mit Taktiken für den Wandel auseinandergesetzt hatte (in der Form von Entwicklungsmustern), so müssen wir auf strategischer Ebene anders vorgehen und langfristig denken.

Der strategische Umgang mit beschleunigtem Wandel erfordert langfristiges Denken – wie wird die Welt in 5-10 Jahren sein?

Auf den ersten Blick ist das vielleicht nicht intuitiv: Aber was hilft es mir, ein akutes Problem zu lösen, welches es dank Technologiewandel vielleicht gar nicht mehr gibt, wenn ich fertig bin?

Ein Beispiel ist der Umgang mit elektronischen Patientendaten: Das ist ein akutes Problem, und es gibt in diesem Bereich viel Aktivität, Standards zu definieren. Doch wenn es endlich einen Standard gibt und wir mit der Entwicklung einer Lösung beginnen, dann ist diese vielleicht in 2-5 Jahren marktreif. Bis dahin gibt es das Problem vielleicht gar nicht mehr, da dank Mashine Learning und künstlicher Intelligenz gar kein strukturiertes Format mehr benötigt wird. Gerade etablierte Firmen und Marktführer müssen sich also Gedanken machen, wie die Welt in 5-10 Jahren aussehen wird, und dann darauf zuarbeiten.

Netflix hat das in beeindruckender Weise gemacht: Im Jahr 2011 stellte Netflix den Versand von DVDs ein und wurde von vielen für Verrückt gehalten, so ein lukratives Geschäftsmodell einzustampen. Doch damals hat Netflix bereits erkannt, dass DVD massiv an Bedeutung verlieren werden und Streaming die Zukunft ist.

Modellierung

Ich verfolge Aufmerksam die Entwicklungen im Bereich Modellierung und sehe dort ein riesiges Potential. Allerdings ist meiner Meinung nach die Zeit immer noch nicht reif dafür. Doch das ist meiner Meinung nach genau eine der Technologien, die langfristig für einen enormen Wandel sorgen werden.

Noch ist die Zeit nicht wirklich reif, und ich erwarte keine wirklich großen Entwicklungen in 2020.. Wer jedoch mehrere Jahre weiterdenken möchte, sollte unbedingt ein Auge auf die Modellierung halten.

Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends