Beispiel Ladesäulen: So kann das in Deutschland nichts werden…
Wer sich mit E-Autos beschäftigt, verfolgt sicherlich aufmerksam die Diskussion um die Pflicht für Kartenleser an Ladesäulen. Kurz zusammengefasst: Die Regierung hat beschlossen, dass Betreiber neue Ladesäulen mit Kartenlesern ausstatten. Derweil ist die Ladesäulenverordnung sowieso schon spät dran.
Dies ist ein schönes Beispiel für ein komplexes „System of Systems“, an dem viele Stakeholder mit teils sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt sind. Warum so ein Eiertanz? Was ist der Schade? Und am wichtigsten, wo läuft es besser?
Ein Fahrzeug, elektrisch oder nicht, ist ein komplexes System. Eine Ladesäule ist ebenfalls ein System. Alle elektrischen Fahrzeuge und Ladesäulen zusammen ergeben ein riesiges „System of Systems“.
Hinzu kommen Millionen von Stakeholdern, wobei diese in wesentlich weniger Rollen fallen, also bspw. Autofahrer, Fahrzeugbesitzer, Ladesäulenbetreiber, Energieversorger, Gesetzgeber, usw. Diese haben teils drastisch unterschiedliche Ziele und Anforderungen. Während der Ladesäulenbetreiber dein Profit maximieren möchte, möchte der Autofahrer möglichst günstig tanken.
Mit solchen Interessenskonflikten umzugehen und diese aufzulösen ist die Aufgabe des Systems Architekten. Eine Übersicht der Stakeholderklassen habe ich hier zusammengestellt: Geben und Nehmen: Die 9 Stakeholder des Systemarchitekten.
Infrastruktur als Knackpunkt
Doch gerade wenn es um innovative, neue Infrastrukturen geht, dann fehlt der Architekt. Bei bestehenden Infrastrukturen ist die Thematik weniger scharf. Beispiele sind der Aufbruch der Bahn in DB Netz, DB Fernverkehr, DB Cargo, etc., oder die Aufspaltung der Bundespost. Beim Aufbau gab es ein einziges (Staats-)Unternehmen, welches ganzheitlich an den Aufbau des Systems herangehen konnte.
Gerade in Europa hat die Politik die Bedeutung der Infrastruktur erkannt und versucht, diese einer monopolistischen Kontrolle zu entziehen. In der Praxis funktioniert das mehr recht als schlecht. Hin und wieder gibt es gerade für Verbraucher positive Entwicklungen, wie bspw. das Roaming in der EU. Doch um bei diesem Beispiel zu bleiben, hinter diesem Komfort verstecken sich Dutzende von Ausnahmen und Sonderregelungen, die Anbeitern (und manchmal Verbrauchern) immer noch das Leben schwer machen.
Bei manchen Infrastrukturthemen ist die EU komplett überfordert, wie bspw. die (nicht existierende) Interoperabilität von Messenger-Apps.
Es ist leicht, sich über den Status Quo zu beschweren. Doch wie läuft es woanders ab?
Tesla lacht sich wahrscheinlich tot
Tesla stand Anfang der 2010er vor dem Problem, dass es in den USA keine Ladeinfrastruktur gab. Beim ersten Modell (2008 Roadster) war das nicht so schlimm, da es sich um einen Sportwagen handelte, der sich als Zweitwagen an ein exklusives Publikum wendete. Doch spätestens beim Model S (2012) erwarteten die Kunden, unterwegs tanken zu können.
Teslas Antwort war der Aufbau einer eigenen Ladeinfrastruktur. In kurzer Zeit entstanden genug Ladesäulen, um sich im gesamten Land mit einem Tesla bewegen zu können. Besonders bemerkenswert ist, dass Tesla 2014 viele wichtige Patente freigab – natürlich nicht ganz uneigennützig.
Damit hat Tesla Fakten geschaffen, aber gleichzeitig die Gefahr von Insellösungen entschärft.
China hat zu viele Automobilhersteller
Ein totalitärer Staat wie China wiederum hat andere Möglichkeiten. Dieser greift oft und teilweise massiv in den Markt ein. Kürzlich hat die chinesische Regierung angekündigt, dass Unternehmen zu Fusionen ermutigt werden sollen, um mehr Effizienz in den Markt für E-Fahrzeuge zu bringen. Wie das geschehen soll hat sie offen gelassen. Ich zweifle jedoch nicht, dass es gelingt.
Nicht unbedingt der Ansatz, den wir uns für Deutschland wünschen.
Und Deutschland?
Die meisten Deutschen wollen weder amerikanische noch chinesische Verhältnisse. Doch das Beispiel Ladesäulen zeigt, dass wir bezüglich neuer Infrastrukturen besser werden müssen.
Deutschland überlegt, das Laden so unpraktisch, so kompliziert, so umständlich und so teuer wie möglich zu machen.
Leider können wir als Systemarchitekten dieses Problem nur indirekt lösen. Was mich freut sind die vielen Kollegen, die sich in Arbeitsgruppen und bei Standardisierungsgremien engagieren, um bei den vielen Herausforderungen bezüglich Infrastruktur ihre Expertise einzubringen. Chapeau!
Dennoch sehe ich, im Angesicht steigender Komplexität, die Herausforderungen wachsen. Ich lade alle Leser ein im Kommentarbereich Anregungen zu hinterlassen, wie wir langfristig besser werden könnten.
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