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Modellierung & MBSEWerkzeuge

Physikalische Modelle im Systems Engineering

Model-Based Systems Engineering (MBSE) hat viele Gesichter und geht weit über SysML hinaus. Insbesondere ist SysML für physikalische Modelle nur mit Vorbehalt zu empfehlen. Im folgenden geht es um die möglichen Alternativen zur SysML, um physikalische Systeme zu modellieren.

Sinn und Zweck von MBSE

Beim „klassischen“ MBSE, bspw. mit SysML, geht es primär um das Beherrschen der Komplexität. Klassisches MBSE schafft die Nachverfolgbarkeit von Anforderung bis zum Systemelement, sowie Kapselung. Doch ist es schwierig, das Verhalten mit ausreichender Wiedergabetreue abzubilden. Sicher, wir können diskrete Zustände mit State Charts oder Aktivitätsmodellen gut beschreiben. Doch bei kontinuierlichen Abläufen wird es schwieriger. SysML stellt dafür Parametrics bereit. Es gibt auch die SysML Extension for Physical Interaction and Signal Flow Simulation (SysPhS). Damit lässt sich schon einiges anstellen.

SysPhS mit Enterprise Architect

Diese Ansätze sind eher als Erweiterungen der SysML zu sehen und nicht als Kernfeature. Zum Beispiel ist es möglich, entsprechende Modellelement von Cameo zu Simulink zu exportieren um sie dort zu simulieren. Doch das Simulink-Modell ist dem SysML-Modell untergeordnet.

Dieses Vorgehen ist durchaus praktikabel, wenn die physikalischen Aspekte nur punktuell auftreten. Doch wenn diese führen, dann kann es Sinn machen, den Spieß umzudrehen.

Werkzeuge und Notationen für physikalische Modelle

Die Alternative zu SysML ist die Nutzung von anderen Notationen, die oft vom Werkzeug vorgegeben werden. Eines der bekannteren Werkzeuge ist Matlab/Simulink. Simulink stellt Elemente von zahllosen domänenspezifischen Modellierungssprachen bereit, aus Elektronik, Elektrik Pneumatik und vielen mehr. Damit können schnell sehr genaue Modelle erstellt werden.

Was im ersten Moment fehlt ist die Kapselung und der hierarchische Aufbau des Modells, sowie die Traceability. All diese können allerdings mit entsprechenden Techniken ergänzt werden. Weiterhin haben viele SysML-Modellierungswerkzeuge Schnittstellen zu Simulink.

Neuartig ist der Ansatz von Valispace. Hier steht die Dekomposition des Systems klar im Vordergrund. Im Gegensatz zu SysML ist die parametrische Verknüpfung der Systemelemente einfach und für physikalische Systeme konzipiert. Durch dieses Konzept ergibt sich auch eine Traceability zu den Anforderungen, zumindest wenn diese quantifizierbar sind. So kann zum Beispiel durch das Aufaddieren der Massen der einzelnen Komponenten sichergestellt werden, dass das vorgegebene Maximalgewicht nicht überschritten wird. Valispace kommt aus der Raumfahrt und basiert auf den Bedürfnissen dieser Industrie. Das schließt die Anwendung in anderen Domänen jedoch nicht aus.

Domäne steht im Vordergrund

Noch spezifischer wird es zum Beispiel bei PathWave Design. Diese Software fokussiert sich auf Systeme, die aus verifizierter Hardware für Hochfrequenzanwendungen bestehen. Deren freiberuflicher Mitarbeiter Don Dingee hat einen interessanten Artikel geschrieben, der MBSE unter dem Blickwinkel eines Digital Twins betrachtet. Insbesondere argumentiert er, dass generische MBSE-Ansätze einfach nicht genug Genauigkeit haben, um den Mehrwert eines Digital Twins zu realisieren.

Und damit sind wir wieder bei der Eingangs aufgestellten Behauptung, dass es im klassischen MBSE primär um das Beherrschen der Komplexität geht. PathWave hingegen ist genau genug für praxisnahe Simulationen. Dies wiederum erhöht frühzeitig das Vertrauen in das zu entwickelnde System, wie das folgende Bild zeigt:

https://i0.wp.com/semiengineering.com/wp-content/uploads/Keysight_turning-MBSE-inside-out-for-RF-EDA-shift-left-fig2-Confidence-in-system-performance.png?ssl=1
Modellierung erhöht früher das Vertrauen in das zu entwickelnde System (Quelle Dr. Ray Kolonay, Air Force Research Laboratory, via Semiconductor Engineering)

Fazit

MBSE kann viele Gestalten annehmen und es gibt viele verschiedene Notationen. Physikalische Modelle können zwar mit SysML realisiert werden. Jedoch lohnt es sich, die Ziele der Modellierung genau zu verstehen. Wenn es mehr um Simulation und Digital Twin geht und weniger um das beherrschen von Komplexität, dann gibt es wahrscheinlich zielführendere Ansätze.

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Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends