Netzwerkdenken im Systems Engineering
„Es existiert ein praktisch unsichtbares Netzwerk, das Millionen von Menschen miteinander verbindet. Menschen, die sonst völlig voneinander isoliert wären. Diese aufregende Technologie hat sich zu einem unglaublich komplexen Netz entwickelt. Es ist fast unmöglich, seine Gesamtgröße abzuschätzen. Diese System ist: Die moderne Kanalisation.“
Diese Satire der Blue Man Group zeigt in humoristischer Weise, dass das Internet zwar zur eines der sichtbarsten Netzwerke ist, aber bei weitem nicht das einzige. Als Systems Engineers haben Netzwerke (und Plattformen) eine wichtige Bedeutung, denn sie stellen oft das Fundament für „Systems of Systems“ dar.
Noch kurz vorweg: Statt von Netzwerk könnten wir im Kontext von diesem Artikel auch von Plattform oder Infrastruktur reden. Es geht um die Idee, dass viele Unter- und Teilsysteme miteinander interagieren.
Netzwerke in der Geschichte
Das Konzept von Netzwerken ist Jahrtausende alt und hat die Wurzeln im Handeln, also in der Geschäftswelt. Zu den bekannteren Vertreten gehört zum Beispiel die Seidenstraße (seit 500 BC) oder die vielen Eisenbahnnetzwerke. Netzwerke können auch natürlichen Ursprungs sein, was sich schön an den vielen ehemaligen Zollgrenzen an Flüssen zeigt.
Ab dem 19. Jahrhundert beschleunigte sich dann die Entwicklung von Netzwerken, da diese wesentlich stärker als Infrastruktur für weitere Dienste fungierten und daher ein hohes Maß an Zuverlässigkeit erforderten. Dazu gehören Dienste wie Strom, Wasser oder Kanalisation, wie die Blue Man Group im Video so schön zeigt.
Netzwerke im Kartellrecht
Wer ein Netzwerk beherrscht hat häufig einen großen Wettbewerbsvorteil. Ein Hausbesitzer kann schließlich schlecht eine zweite Straße bauen, wenn ihm der Betreiber der Straße vor der Tür nicht gefällt. Auch wenn es theoretisch genug Platz für eine weitere Infrastruktur gibt, ist es in der Praxis nicht immer so einfach, auf eine andere auszuweichen.
Ende der 90ern war dies in Deutschland ein großes Thema, da viele Netzwerke von der Regierung betrieben wurden, wie Bahn und Post. Im Rahmen der Privatisierung sollte ein Ausnutzen der Monopolstellung verhindert werden. Deshalb wurde bspw. die Bundesbahn in mehrere Tochterunternehmen aufgeteilt. Die DB Netz AG ist für das Betreiben der Gleisanlagen zuständig und muss auch Konkurrenzunternehmen wie Flixtrain auf die Gleise lassen.
Auch wenn das Netzwerk wie bei der Bahn für die Mitbewerber offen ist: Es ist sehr schwer, Fuß zu fassen. Der Löwenanteil der Züge auf deutschen Gleisen wird immer noch von der Bahn betrieben. Wie schwer muss es erst sein, wenn der Netzwerkbetreiber sein Netz nicht freiwillig öffnet?
Plattformen heute
Das Internet hat bezüglich Kartellrecht und Netzwerkbildung ganz neue Herausforderungen geschaffen. Schließlich ist Platzmangel dort kein Problem. Auch wenn der Suchmaschine Google oft eine monopolistisches Verhalten vorgeworfen wird, ist die Situation schwer mit traditionellen Monopolen zu vergleichen: Schließlich ist es für die Nutzer sehr leicht zu wechseln.
Etwas offensichtlicher ist das monopolistische Verhalten bei Diensten, aus denen man nicht ganz so leicht entkommen kann. Wer zum Beispiel ein iPhone von Apple benutzt hat nicht wirklich die Möglichkeit, auf einen alternativen App-Store auszuweichen. Hier geht es um Milliarden, weshalb beispielsweise Epic Games zur Zeit einen Rechtsstreit mit Apple austrägt.
Netzwerke und Plattformen für Systems Engineers
Netzwerkdenken ist für Systems Engineers aus mehreren Gründen wichtig. Da Systems Engineers auf alle relevanten Stakeholder eingehen müssen, ist es auch wichtig, dass wir die wirtschaftlichen Implikationen von Netzwerken verstehen. Das betrifft sowohl die Nutzung eines Netzwerks, als auch der Versuch, ein eigenes Netzwerk aufzubauen.
Aus technischer Sicht müssen wir emergentes Verhalten berücksichtigen. Also Effekte, die sich im „System of Systems“ zeigen, jedoch nicht im einzelnen Teilsystem.
Und zuletzt sind moderne Produkte selbst häufig komplexe Netzwerke. Ein gutes Beispiel ist dafür – wie so oft – das Auto. Ein modernes Fahrzeug besteht aus dutzenden von Steuergeräten, die über ein Netzwerk miteinander verbunden sind. Die richtige Wahl der Plattform kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
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