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Mobility in Europa: Analyse von 3000 Start-ups

Wenn man den Nachrichten glaubt, dann steckt die Automobilindustrie in der Krise. Sowohl in Deutschland als auch weltweit sind Verkäufe eingebrochen, und gerade in Deutschland gab es von der Industrie viele Klagen, da die wirtschaftliche Förderung für den Kauf auf Elektromobilität beschränkt wurde.

Doch das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus 2 Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit. Und viele Unternehmer versuchen, diese Gelegenheit beim Schopf zu fassen.

Alex Kiltz hat diesbezüglich den Markt untersucht und die Ergebnisse dieser beeindruckenden Studie veröffentlicht. Im Folgenden gibt es meine deutschsprachige Zusammenfassung.

4 Trends im Bereich Mobility

Im Bereich Mobility gibt es mehrere Trends, die die Industrie aufwirbeln. Auf SE-Trends ist zu Automotive bereits einiges zu lesen. Die vier wichtigsten, die Alex anspricht sind:

  • Autonomes Fahren – Abgesehen davon, dass die Technik autonomes Fahren endlich möglich macht, verspricht die Politik sich davon eine drastisch erhöhte Sicherheit (über 90% der Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen). Weiterhin gibt es wirtschaftliche Faktoren. Zum Beispiel fallen auf den Fahrer des LKWs ca. 30% der Kosten.
  • Elektrifizierung – Dieser Trend is primär durch hohe Emissionsstandard sowie Förderungen vom Gesetzgeber getrieben. Neben den Fahrzeugen selbst muss auch eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden.
  • Neue Mobilitätsdienste – Alternativen zu Taxis (Uber, Lift) sowie neue Transportmöglichkeiten (bspw. Elektroroller) sind durch die weite Verbreitung von Smartphones möglich geworden. Kunden akzeptieren inzwischen das Pay-per-Ride-Modell als Alternative zum Besitz eines Transportmittels, besonders in den Städten.
  • Konnektivität – Daten sind das neue Gold. Dabei geht es nicht nur um die persönlichen Daten der Nutzer (personal data), sondern auch die Daten der Sensoren der Fahrzeuge (inside-out), als auch die von den Fahrzeugen genutzten Daten, wie bspw. zum Verkehr (outside-in).

Mobility Start-ups in Europa

Alex Kiltz hat in seiner Studie die Start-up-Szene unter dem Gesichtspunkt eines Investors untersucht, da er als Associate für die VC-Firma UVC tätig ist. Das folgende Biild zeigt die Logos von vielen der 3000 von ihm untersuchten Start-ups, gruppiert in 11 Kategorien.

In diese Unternehmen wurden zum Zeitpunkt der Studie 7,5 Milliarden US Dollar investiert. UK und Deutschland dominieren die Liste, wobei UK die meisten Start-ups hat (32%), während Deutschland die höchste Investition getätigt hat (30%). Schauen wir uns die 11 Kategorien genauer an:

  • Autonome Fahrzeuge und Systeme – Dies umfasst Assistentensysteme bis hin zu Level 5-Autonomie, sowohl für Personen als auch Lasten, auf Rädern und in der Luft. Prominente Vertreter sind Firmen wie Navya oder Einride. China und US investieren in dieser Kategorie wesentlich mehr.
  • Karten und Navigation – Inzwischen ist klar, dass autonomes Fahren gutes Kartenmaterial benötigt. Doch eine gute, maschinenfreundliche Lösung gibt es noch nicht. Das Potential hier ist groß, möglicherweise sogar größer als die Websuche. Prominente Vertreter sind Wayray und Artisense.
  • Sensoren und Trainingsdaten – Im Bereich Sensorik wird weltweit viel Investiert, insbesondere in Lidar. Doch auch Trainingsdaten sind extrem wichtig. Dazu gehören nicht nur Daten von echten Fahrten, wie sie insbesondere Google (Waymo) gesammelt hat, sondern auch virtuell erzeugte. Hier sind auch die OEMs mit Akquisitionen aktiv. Beispiele hier sind Innoviz oder Blickfeld.
  • Vernetzung (V2X) – Hier gibt es eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten, von der Kommunikation zwischen einzelnen Fahrzeugen, Datensammlung für Reparatur bis zum Verwerten der Passagierdaten. Beispiele hier sind Wejo und Aurora Labs.
  • Mobilitätsdienste – Hier findet sich „klassisches“ Carsharing, allerdings ist die Mikromobilität ausgenommen (nächster Punkt). Mit über 700 Start-ups ist dies die größte Kategorie. In Deutschland ist Flixbus ein prominentes Beispiel, andere sind Gett und Cluno.
  • Mikromobilität – Ein Großteil aller Autofahrten ist kürzer als 10 km. Wenn man das Fahrzeug nicht mehr besitzt, dann muss diese „Last Mile“ nicht unbedingt mit dem Auto zurückgelegt werden. Dieser Markt – in vielen Städten durch sichtbar durch Elektroroller und Fahrräder – wurde im Prinzip durch die Mobilitätsdienste geschaffen. Beispiele sind Voi oder Fazua.
  • Elektromobilität und Batterietechnik – Es gibt in diesem Bereich unglaublich viele ungelöste Probleme: Batteriekapazität, Ladeinfrastruktur, Ladezeiten, usw. All das ist zum Teil von gesetzlichen Vorgaben und Anreizen (z.B. Kaufprämien) getrieben, weshalb hier etwas geschehen muss. Dies machen zum Beispiel StoreDot und Silicon Mobility.
  • Marktplatz für Fahrzeuge und Teile – OEMs haben hier eine Lücke im Markt gelassen, die viele Start-ups versuchen zu füllen, und die OEMs natürlich auch. Vertreter sind Auto1, die inzwischen als Unicorn gelten, und BrumBrum.
  • Finanzierung und Versicherung – OEMs haben schon lange den Wert dieser Kategorie erkannt, doch durch die sich ändernden Besitzverhältnisse gibt es hier viel Bewegung. Beispiele sind Fri:day und Vehiculum.
  • Hardware & Materialien – In dieser Kategorie befinden sich komplett neue Mobility-Lösungen wie Hyperloop Raumfahrt, sowie die Entwicklung neuer Materialien, die sich als Game-Changers entpuppen könnten. Hier sind Unternehmen wie Softwheel und Spacetrain.
  • Parken & Smart City – Diese Kategorie ist durch neue Technologien (bspw. Roboterparken) und Zugang zu Daten interessant geworden – abgesehen davon, dass Parken gerade in den Städten ein immer größeres Problem wird. Beispiele von Start-ups sind Optibus und Stanley Robotics.

Fazit

Ich höre aktuell viel Skepsis, dass Europa im allgemeinen, und Deutschland insbesondere zu einem Umdenken bei der Mobilität in der Lage ist. Ein Problem ist sicherlich, dass für viele Menschen die hier stattfindenden Aktivitäten kaum sichtbar sind. Doch diese Arbeit von Alex Kiltz macht diese Aktivitäten in eindrucksvoller Weise sichtbar. Ich kann allen, die am Thema Mobility interessiert sind, nur empfehlen, den gesamten Artikel zu lesen.

Bildquelle: Piqsels

Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends