James Towers zu MBSE: Fortschritte und Herausforderungen
MBSE wird in letzter Zeit wieder viel diskutiert, einschließlich in diesem Blog. Dabei ist es für die Leser nützlich, unterschiedliche Perspektiven und Meinungen vergleichen zu können. James Towers hat kürzlich eine interessante Analyse zu MBSE und SysML veröffentliche, die ich hier zusammenfasse und kommentiere.
James Towers ist ein Experte für MBSE, der unter anderem für Dassault tätig ist damit eng mit der Weiterentwicklung von Cameo (MagicDraw) vertraut ist. Der vollständige Bericht ist online zu finden unter dem Titel The MBSE Horizon: Advances and Challenges over the next few years.
18 Jahre Zusammenarbeit zwischen OMG und INCOSE
Der SysML-Standard wird von der Object Management Group (OMG) verwaltet und weiterentwickelt. Schon frühzeitig erkannte diese, dass Expertise zum Systems Engineering mit herangezogen werden muss, um den Standard praxisrelevant zu gestalten. Daraus entstand die Systems Engineering Domain Special Interest Group (SE DSIC), die vor 18 Jahren gegründet wurde. Diese Gruppe hat das heutige MBSE maßgeblich beeinflusst. Insbesondere wurde die Version 1 der SysML erst sechs Jahre nach der Gründung der SE DSIC veröffentlicht.
SysML 2
Wie bereits Uwe Kaufmann kürzlich im Interview erläuterte, so ist eine der größten Änderungen der SysML 2, dass diese nicht mehr als Profil der UML definiert wird. Auch James Towers sieht dies als eine wichtige Änderung und geht dabei auch auf die Historie der SysML ein.
Von Anfang an sollte es bei der SysML 2 jedoch auch ein UML-Profil geben, sowie ein Mapping zwischen dem neuen Metamodell und dem Profil. Das ist pragmatisch: Insbesondere Werkzeughersteller sorgten sich darüber, ein komplett neues Metamodell implementieren zu müssen. Das erzeugt allerdings auch zusätzliche Komplexität. Ob das für die Zukunft der SysML 2 gut oder schlecht ist, wird sich noch zeigen.
SWOT-Analyse
Doch um zum eigentlichen Thema zurückzukommen stellt James eine SWOT-Analyse zum MBSE vor. Diese basiert auf einer Umfrage von mehreren Experten zu dem Thema.
Stärken: MBSE ist ein gangbarer Ansatz zum Entwickeln komplexer Systeme
MBSE mit SysML hat inzwischen ein solides Fundament, bestehend aus Gemeinschaft, Veröffentlichungen und Werkzeugen. Noch wichtiger: Die Industrie hat MBSE als gangbaren Weg erkannt, um Komplexität zu beherrschen. Auch wenn die Adaption von MBSE langsam ist, schreitet sie kontinuierlich voran.
Schwächen: Viele Organisationen haben noch keine ausreichende Reife, um von MBSE zu profitieren
Es ist schwer, mit MBSE in kurzer Zeit Ergebnisse zu liefern einen signifikanten, messbaren Mehrwert zu erzeugen. Anwender erwarten zum Beispiel, dass sie damit vom ersten Tag an Variantenmanagement in den Griff bekommen – das ist illusorisch. Das deckt sich auch mit der Aussage von Andreas Willert, der Im Interview mit SE-Trends erzählte, wie er mit Modellierung eine Produktivitätssteigerung von Faktor zwei bis drei realisieren konnte – allerdings über einen Zeitraum von mehreren Jahren.
Auch die Werkzeuge sind ein Problem, wie Tim Weilkiens kommentierte – diese stecken noch in den 90ern fest. Dave Banham schlug dazu auch vor, dass ein Werkzeug-Zertifizierungsprogramm der OMG helfen könnte, um Interoperabilität zu gewährleisten.
Chancen: Viele Ingenieursdisziplinen können signifikant von MBSE profitieren
MBSE kann nicht nur in den technischen Prozessen des Systems Engineering eingesetzt werden, sondern auch in spezifischen Ingenieursdisziplinen wie Sicherheit, Zuverlässigkeit, usw.
Weiterhin verlangen Auftraggeber inzwischen sogar den Einsatz von MBSE, was als Treibfeder dienen kann. Das trifft insbesondere auf öffentliche Aufträge zu. Da hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, als Triebfeder zu agieren.
Risiken: Fragmentierung durch fehlende bzw. späte Werkzeugunterstützung
Wie weiter oben schon erwähnt, sind die bestehenden Werkzeuge schon recht betagt. Die SysML kommt voraussichtlich 2021 heraus, und dann gibt es sicher nicht sofort Werkzeuge, die das native Metamodell unterstützen. Für die ersten Jahre gibt es sicher nur UML-profilbasierte Übergangslösungen. Doch in der Zwischenzeit etablieren sich alternative Lösungen wie Capella oder Simulink, wodurch die Fragmentierung im Markt zunehmen könnte.
Eine weitere Gefahr, ebenfalls oben erwähnt, ist mangelnde Reife im Systems Engineering. Wenn in so einer Situation ein MBSE-Projekt fehlschlägt, kann die Schuld schnell auf MBSE geschoben werden, nicht auf die mangelnde Reife.
Fazit
MBSE wird nicht verschwinden – so viel ist klar. Die Frage ist, ob MBSE irgendwann Mainstream wird oder ein Nischenansatz bleibt. James Towers argumentiert, dass mehr und mehr Projekte ohne MBSE einfach nicht mehr umsetzbar sein werden. Die Frage ist, ob sich das auch auf die weniger komplexen Projekte auswirken wird.
James hofft, dass die SysML 2 die Systemmodellierung für die Experten einfacherer und intuitiver machen wird, was sich wiederum auf die Verbreitung auswirken sollte. Doch es ist unklar, wie Modellierungsexperten und Werkzeughersteller letztendlich auf die SysML 2 reagieren werden. Da ist die SysML 2 eine große Unbekannte.
Doch die Sprache allein macht noch kein MBSE aus: Auch kompetente Anwender und Methoden sind ebenso wichtige Teile. Insofern ruft James uns auf, die SysML 2 als Gelegenheit zu nutzen, die Herausforderung anzunehmen und MBSE weiter voranzutreiben.