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Die Vorteile von gesteuertem Vokabular in Zahlen

Längst hat es sich herumgesprochen, dass wir im Systems Engineering nicht einfach drauflos schreiben sollten. Statt dessen sollten wir die Sprache steuern. Das zu verwendende Vokabular ist ein wichtiger Aspekt, der leicht gesteuert werden kann.

Kürzlich bin ich auf eine Studie gestoßen, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzt, den Auswirkungen von gesteuertem Vokabular im Anforderungsmanagement. Noch wichtiger, die Auswirkungen werden quantifiziert. Im Folgenden beantworte ich zunächst die Frage, welche Formen des Vokabulars es gibt. Im Anschluss führe ich ein paar interessante Zahlen aus der Studie auf, die den Mehrwert von gesteuertem Vokabular in quantifiziert.

Die Verwendung von gesteuertem Vokabular (controlled vocabulary, CVs) zielt darauf ab, die Qualität der Spezifikationen der Softwareanforderungen zu erhöhen. So weit so gut: Die Qualität der geschriebene Dokumentation ist besser. Gesteuerte Sprache hilft auch, Mehrdeutigkeiten und Komplexität zu reduzieren.

Die Studie

Die Autoren der Studie waren überrascht, dass bisher recht wenig über die die Auswirkungen von gesteuertem Vokabular veröffentlicht wurde. Daher haben sie eine Meta-Studie erstellt, in der sie aus 2348 veröffentlichte Arbeiten zum Thema 90 Arbeiten im Detail untersucht hatten. Das im Jahr 2020 veröffentlichte Paper kann hier heruntergeladen werden:

The Impact of Controlled Vocabularies on Requirements Engineering Activities: A Systematic Mapping Study

Was ist gesteuertes Vokabular?

Das umgangssprachlich bekannteste gesteuerte Vokabular ist wahrscheinlich das Glossar. Das wird im Paper gar nicht erwähnt. Statt dessen identifizieren die Autoren lediglich die zwei Gruppen Ontologie und Taxonomie.

Das erscheint auf den ersten Blick etwas simplistisch. Und in Wirklichkeit haben die Autoren auch zwei weitere Gruppen von gesteuertem Vokabular identifiziert: Folksonomien und Thesauri.

Folksonomien werden auch auf Neudeutsch als „Social Tags“ bezeichnet. Die Autoren haben zwar Papers dazu gefunden, aber nicht im Kontext von Anforderungsmanagement.

Thesauri, bzw. Synonymwörterbücher, tauchen in vielen Papers auf, jedoch nirgendwo als Hauptthema. Alle Untersuchten Papers diskutierten Thesauri im Kontext von Ontologien.,

Das Glossar wird gar nicht erwähnt, da es sich dabei ja um eine vereinfachte Ontologie handelt.

Welche Aktivitäten unterstützt das gesteuerte Vokabular?

Die Autoren identifizierten fünf Aktivitäten im Anforderungsmanagement, bei denen das gesteuerte Vokabular eine relevante spielt. Die Liste dürfte wenige Leser überraschen:

Alle Papiere betonen die Notwendigkeit einer klaren, objektiven und unmissverständlichen Schreibweise. Das Festhalten in schriftlicher Form geschieht beim Spezifizieren und Erheben, daher ist hier der Einsatz von kontolliertem Vokabular am stärksten.

Doch auch in der Analysephase ist eine kontrollierte Sprache hilfreich. Durch deren Einsatz ist es bspw. wesentlich einfacher, Konflikte und Gegensätze zu erkennen.

Welche Aspekte im Entwicklungsprozess und des Produkts beeinflusst der Gebrauch kontrollierter Sprache?

Dies ist eigentlich die spannendste Frage. Denn hier zeigt sich, wie das gesteuerte Vokabular einen echten Mehrwert leisten kann. Hier zunächst die Ergebnisse:

Gesteuertes Vokabular spielt mit Abstand die größte (positive) Rolle, um das Team zu führen und ein gemeinsame Verständnis zu schaffen. Das wiederum ist die Grundlage für Kommunikation, die wesentlich weiter unten mit 5 Quellen aufgeführt ist.

Überraschend hoch ist die Anzahl der Quellen, die das gesteuerte Vokabular als Grundlage für Automatisierung und Werkzeugunterstützung sehen. Dazu gleich noch mehr.

Viele der Aspekte fallen meiner Meinung nach in den Bereich Qualität. Wenn man Vollständigkeit, Genauigkeit, Mehrdeutigkeit und Konsistenz mit „Qualität“ verbinden würde, kämen wir auf 35 Nennungen, wäre also auch an erster Stelle.

Das Thema Varianten und Produktlinien wird ebenfalls immer wichtiger. Daher ist es nicht verwunderlich, dass immerhin 8 Quellen Wiederverwendbarkeit erwähnten.

Schade, aber nicht überraschend, geht nur eine Quelle auf Modellierung ein

Automatisierung

Seit einiger Zeit setze ich mich bereits mit dem Thema Automatisierung in der Produktentwicklung mit künstlicher Intelligenz (KI) auseinander. Das Ergebnis davon ist der virtuelle Qualitätsassistent Semiant, der bereits im industriellen Umfeld im Einsatz ist. Insofern bestätigen die Ergebnisse dieser Studie, dass in diesem Bereich enormes Potential liegt.

Insbesondere Ontologien stellen häufig das theoretische Fundament für die Automatisierung. Dazu gehören Aufgaben wie die Erkennung von Konflikten, die Klassifizierung von Anforderungen oder das Erkennen von Fehlern. Gerade im Bereich der nichtfunktionalen Anforderungen gibt es bereits verschiedene Werkzeuge. Das Verarbeiten der natürlichen Sprache wird durch das gesteuerte Vokabular drastisch vereinfacht und wesentlich genauer. Ebenso können manche Werkzeuge halbautomatisch Texte in Anforderungen überführen, die auf Textschablonen basieren.

Weitere Ergebnisse

Insbesondere akademischen Lesern empfehle ich, das Paper zumindest zu überfliegen. Dort gehen die Autoren auch auf das wissenschaftliche Umfeld ein: Wer sind die wichtigsten Menschen, die in diesem Bereich forschen? In welchen Ländern wird geforscht? Großbritannien steht an erster Stelle, Deutschland an neunter Stelle. Natürlich haben solche Statistiken nur eine begrenzte Aussagekraft, da viel industrielle Forschung nicht veröffentlicht wird. Der bestplatzierteste Konzern ist dabei Airbus (UK).

Wie geht es weiter?

Die Autoren haben, wie bei solchen Papers üblich, eine Liste ihrer Forschungsziele aufgeführt. Ich werde die Arbeit der Autoren aufmerksam verfolgen.

Noch mehr interessiert mich natürlich der Praxiseinsatz. Daher werde ich die weiterführende Literatur bezüglich Automatisierung genauer untersuchen, um deren Potential für die Integration in Semiant auszuloten.

Semiant hat bereits eine KI-gestützte Glossarerstellung, die für verschiedene Automatisierungsszenarien eingesetzt wird. Interessiert? Dann gern bei der Semiant Mailingliste anmelden >>

Image by PDPics from Pixabay

Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends