Wie man Entscheider von MBSE überzeugt
Model-Based Systems Engineering (MBSE) hilft uns mit Komplexität umzugehen, soweit so gut. Aber viele Unternehmen fragen sich, ob die Kosten der Einführung das Ergebnis rechtfertigen. Das hängt von mehreren Faktoren ab, und genau darum geht es heute. Im Folgenden fasse ich die Ergebnisse einer Untersuchung dazu von Azad Madni und Shatad Purohit der University of Southern California zusammen.
Ist MBSE vorteilhaft und machbar?
Das vollständige Paper Economic Analysis of Model-Based Systems Engineering ist für Entscheider interessant, die strategisch über die Einführung von MBSE zu entscheiden haben. Der Return of Investment (RoI) von MBSE realisiert sich fast immer über einen längeren Zeitraum und ist deswegen normalerweise von strategischer Bedeutung. Das wiederum erfordert das Identifizieren von KPIs. Das vollständige Paper liefert hierzu wertvolle Informationen. Die Unternehmensführung fordert guten KPIs, die den Vorteil von MBSE gegenüber traditionellen Ansätzen quantifizieren und den Erfolg messen. Die Geschäftsführung misst den Erfolg mit den drei Metriken Schneller, Besser, Billiger.
Dem Nutzen stehen die zu erwartenden Kosten gegenüber. Zu den Kostentreibern dieser Umstellung gehören unter anderem eine neue digitale Infrastruktur, die Schulung des Personals und die kosteneffektive Migration von Altmodellen und Daten in die neue Infrastruktur.
Doch ist MBSE auch technisch machbar? Auch davon müssen wir die Unternehmensführung überzeugen. Schließlich erfordert MBSE in der Regel eine größere Investition, und es kann Jahre dauern, bis der RoI realisiert wird.
Die Autoren haben das MBSE-Implementierungsproblem in Bezug auf folgende Faktoren charakterisiert:
- Systemkomplexität
- Komplexität des Systemkontext
- Regulatorische Beschränkungen
- Lebensdauer des Systems.
Diese Kriterien werden auf Systeme in zwölf wichtigen Industriezweigen angewandt, um MBSE-Investitionen und erwartete Gewinne zu bestimmen. Der hier gezeigte Ansatz ist generisch und ermöglicht eine wirschaftliche Bewertung in verschiedene Sektoren.
Kostenverteilung von Systems Engineering vs. MBSE
Schon seit über 20 Jahren wissen wir, dass ein formales Vorgehen (einschließlich MBSE) eine höhere Up-Front-Investition erfordert mit dem Versprechen, dass über den Gesamtlebenszyklus des Projekts die Investition mehr als wettgemacht wird. Das ist in den folgenden charakteristischen Kurven zu erkennen:

Die rote Kurve zeigt den traditionellen Verlauf, bei dem Anfangs die Kosten niedrig sind und langsam ansteigen. Im Gegensatz dazu hat die blaue Kurve eine charakteristische Spitze in der Preliminary Design-Phase, da MBSE einen hohen Aufwand für die initiale Erstellung des Modells erfordert.
Ob sich MBSE lohnt oder nicht hängt vom Integral der beiden Kurven ab. Um MBSE zu rechtfertigen, muss der Gesamtaufwand nicht nur ein bisschen, sondern wesentlich geringer sein als beim traditionellen Vorgehen. Schließlich ist bei MBSE das Risiko höher: Wenn – aus welchem Grund auch immer – das Projekt abgebrochen werden muss, dann ist durch die frühe Investition beim MBSE der Schaden höher.
Um Entscheider von MBSE zu überzeugen muss der Gesamtaufwand signifikant niedriger sein als beim traditionellen SE
Im Bild sind auch die Möglichkeiten gezeigt, auf den RoI Einfluss zu nehmen. Zum einen können die erforderlichen Investitionen minimiert werden (links), oder die Vorteile maximiert werden (rechts).
Produktlinien profitieren besonders vom MBSE
Übrigens müssen wir bei diesen Kalkulationen auch den richtige Scope berücksichtigen. Die Investition in MBSE lohnt sich besonders beim Aufbau einer neuen Produktlinie, bspw. beim Entwickeln einer neuen Industrieanlage. Solche Anlagen werden typischerweise kundenspezifisch angepasst und Dutzende Anlagen pro Jahr verkauft. In dem Fall könnte die erste dieser neuen Anlagen durch MBSE deutlich teurer werden als eine traditionell entwickelte Anlage, dafür werden alle weiteren Anlagen der Produktlinie günstiger, wodurch sich ein positiver RoI schon nach einer kleinen Anzahl von Anlagen realisieren lässt.
Industriespezifische Analyse
Letzten Endes ist jedes Unternehmen anders. Das beginnst schon damit, dass für MBSE ein gewisse methodische Reife vorhanden sein muss. Auch durch regulatorische Anforderungen sind manche Industrien weiter als andere. Trotzdem kann die folgende Tabelle bei einer ersten Analyse hilfreich sein, um eine erste Abschätzung für ein Unternehmen zu erstellen:

Fazit
MBSE wird nicht „mal eben“ eingeführt. MBSE ist ein strategisches Thema, von dem Entscheider überzeugt werden müssen, und zwar mit harten Zahlen. Was Madni und Purohit in ihrer Arbeit vorstellen ist nicht wirklich neu. Es ist aber ein solides und verständliches Framework, und wichtiger noch, es ist aktuell (2019). Es enthält wertvolle Informationen um einen MBSE-Businesscase aufzustellen.
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