Wie Cruise die Kosten des zentralen Steuergeräts um 90% reduziert
Cruise ist ein Automotive-Startup, das inzwischen zu GM gehört. Wer San Francisco besucht, kann dort die autonomen Fahrzeuge auf den Straßen sehen, die inzwischen auch komplett fahrerlos unterwegs sind.
Doch was mich als Systems Engineer mindestens genauso wie das Produkt fasziniert: Cruise hatte — wie viele andere — ein Lieferkettenproblem. Daher hat die Firma sich entschlossen, gerade kritische Komponenten selber herzustellen, einschließlich Microchips.
Das Ergebnis ist beeindruckend: Das neue zentrale Steuergerät C7 ist 90% günstiger, 70% leichter und verbraucht 60% weniger Energie, verglichen mit einem von einem Zulieferer hergestellten Gerät. Gespräche mit Bosch, Continental und ZF verliefen im Sand.
Aufgekauftes Startup
Das Startup wurde 2013 gegründet mit dem Ziel, Kits zum Nachrüsten von Fahrzeugen für das autonome Fahren. Allerdings fokussierte sich das Unternehmen seit 2015 auf die Software. Die frühen Erfolge führten zu einer Akquisition durch General Motors (GM). Auch nach dem Aufkauf behielt Cruise viel Autonomie und initiierte weitere Investmentrunden, was zu einer heutigen Bewertung von $20-$30 Milliarden geführt hat. Damit ist Cruise ein Decacorn.
Nach der Akquise begann Cruise mit der Entwicklung von eigenen Fahrzeugen. Inzwischen sind fahrerlose Fahrzeuge von Cruise in San Francisco unterwegs. Diese können schon von Passagieren gebucht werden, sind allerdings nur in einem kleinen Teil der Stadt unterwegs und nur Nachts, bei wenig Verkehr. Aber immerhin.

Hersteller wider Willen
Cruise wollte eigentlich gar nicht eigene Hardware und Chips herstellen. Doch Cruise erkannte, dass die Preise für Chips von Zulieferern zu hoch waren, die Teile zu groß und die Zuverlässigkeit der Technologie von Drittanbietern einfach nicht gegeben war. Die aktuellen Lieferkettenprobleme haben das Problem weiter verschärft und den Prozess beschleunigt.
Die Historie von „Aufrüst-Kits“ ist in der Architektur zu finden. Die Robotaxis von Cruise sind letzten Endes auch nur aufgerüstete „normale“ Elektroautos. Daher ist das zentrale Element von Cruse ein Steuergerät. Das aktuelle Gerät C6 verwendet noch Chips von Nvidia. Im Stuergerät der nächsten Generation C7 werden vier von Cruise selbst entwickelten Chips verbaut. Das gleiche gilt für das Steuergerät selbst.
Wegen der vergleichsweise geringen Abnahmemengen rechnet sich dieses Vorgehen finanziell für Cruise. Aber der Haupttreiber war die fehlende Innovation bei den Lieferanten. Daher entwickelt das Unternehmen nun auch viele weitere Komponenten selbst, wie zum Beispiel Sensoren.
Cruise stellte fest, dass handelsübliche Radargeräte einfach nicht die Auflösung hatten, die sie für den Betrieb ihrer Fahrzeuge benötigten. Wie beim Steuergerät gibt es eine langfristige Kostenreduzierung von etwa 90%.
Carl Jenkins, Cruise Vice President of Hardware
Gespräche mit deutschen Zulieferern
Beunruhigend ist das, was Carl Jenkins, der Vice President of Hardware von Cruise, über seine Gespräche mit deutschen Zulieferern sagte. Sein Ziel für die Auslieferung war 2025. Er war erstaunt, dass Bosch, Continental und ZF noch nicht einmal ansatzweise ähnliche Entwicklungen am Laufen hatten. Daher fragte er, wie lange eine Neuentwicklung dauern würde. Die Antwort: Sieben Jahre. Das war nicht kompatibel mit dem Zeitplan des Unternehmens.
Für unsere Industrie besonders fatal ist die Tatsache, dass Cruise (und ähnliche Firmen) viel lieber mit Zulieferern arbeiten würden, anstatt alles selber zu bauen. Doch das Ergebnis für Cruise ist unter dem Strich positiv: Das C7-Steuergerät wird 90% günstiger, 70% leichter und verbraucht 60% weniger Energie.
Kann Deutschland aufholen?
Cruise kann sich nur deshalb leisten, eigene Chips und Sensoren zu entwickeln, weil die Firma entsprechend finanziert wurde. Genauso wichtig: Cruise hat nicht die Historie eines Fahrzeugherstellers sondern eines Softwareunternehmens. Unter diesen Gesichtspunkten sollte es doch nicht so schwer sein, auch in Deutschland ähnliche Erfolge zu feiern.
Meiner Meinung nach hakt es an der unternehmerischen Mentalität, beziehungsweise dem Willen der Investoren, Risiken dieser Art einzugehen. Ich zweifle, dass ein Unternehmen wie Cruise aus einem Konzern heraus geboren werden könnte. Denn egal, wie viel Abstand der Mutterkonzern gewillt ist zu halten: die Historie fließt doch immer mit ein.
Das bedeutet natürlich nicht, dass Konzerne es nicht versuchen: Bosch hat ein sehr erfolgreiches Programm, aus dem unter anderem Bosch E-Bike hervorgegangen ist. Auch Festo hat ein ähnliches Programm für Robotik. Doch viele Konzerne glauben nicht an diesen Weg. Zum Beispiel hat Cariad eine enge Bindung an den VW-Konzern und hat auch intensiv von den Mitarbeitern der Konzerngruppe rekruitert.
Zögern bei Startup-Finanzierung
Doch im Startup-Umfeld zögern deutsche Investoren immer noch, größere Beträge in die Hand zu nehmen. Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverband Deutsche Startups e.V, nannte die Investition in Automotive in den sieben Jahren von 2011 – 2018 (im Video ab 15:05):
- Deutschland: 1 Mrd. USD
- USA: 56 Mrd. USD
- China: > 30 Mrd. USD
Da wundert es nicht, dass wir zurückfallen.
Bild: Cruise