Autos brauchen neue Architekturen!

Ein modernes Auto ist ein komplexes Netzwerk auf Rädern. Fahrzeuge haben inzwischen bis zu 150 Steuergeräte. Der Kabelbaum besteht aus bis zu 5km an Leitungen und kann dementsprechend mehr als 50kg wiegen. Über dieses gewaltige Netzwerk werden bis zu 25GB Daten ausgetauscht – pro Stunde! Und die Anzahl der Zeilen Code beläuft sich inzwischen auf bis zu 150 Millionen.

Doch wir sind noch lange nicht am Ende: Autonom fahrende Fahrzeuge werden voraussichtlich 500 Millionen Zeilen Code benötigen, möglicherweise mehr. Traditionelle Architekturen für Autos können das nicht mehr stemmen. Warum das so ist, und was die Alternativen sind, diskutiere ich im Folgenden.

Fahrzeugarchitektur heute

Die Architektur von etablierten Fahrzeugen ist dadurch entstanden, dass der Verbrennungsmotor im Mittelpunkt stand. Die Motortechnik war bisher das wichtigste Know-How der Hersteller. Daher hatten diese schon vor vielen Jahrzehnten begonnen, alles andere so weit wie möglich an Zulieferer zu geben. Anfangs waren das mechanische Komponenten, später kamen die Elektronik dazu. Dabei wurden alle Komponenten wir eine Black Box behandelt.

Doch mit der Zeit enthielten diese Komponenten immer mehr Elektronik und auch Steuergeräte, die dann an einen gemeinsamen Datenbus angeschlossen wurden. Auch, oder gerade weil Hersteller diese wie Black Boxes behandelten, hatten diese immer mehr unerwartete oder unerwünschte Interaktionen.

Ist es möglich festzustellen, ob eine Veränderung der Software in einem Fahrzeugsteuergerät ein anderes beeinflusst? 16% der befragten Entwickler sagen, es ist unmöglich.

IEEE Spektrum

Dass die dezentralen Architekturen in Autos ihre Grenzen erreicht hat, bestätigt auch Continental, die eine neue Architektur entwickelt haben, die bereits im VW ID.3 zum Einsatz kommt.

Tesla macht es vor

Dabei setzt Continental auf eine Server-basierte funktionsorientierte Fahrzeugarchitektur auf Basis eines zentralen „In-Car Application Server“ (ICAS1).

Vorbild ist – wie kann es anders sein – Tesla. Tesla hat schon frühzeitig erkannt, dass in einem elektrischen Fahrzeug die Software eine so zentrale Stellung hat, dass diese nicht outgesourced werden darf. Im Model 3 hat Tesla ein zentrales Steuergerät und ist der Industrie mit dieser Architektur um Jahre voraus.

So eine Architektur entschärft auch die Gefahr durch den Resourcenmangel. Im Januar wurden weltweit eine Million Fahrzeuge weniger produziert als geplant. Im Mai waren es schon über vier Millionen. De Automobilindustrie ist gebeutelt. Wenn von 150 Steuergeräten eines wegen Chipmangel nicht produziert werden kann, wird möglicherweise die Produktion des Fahrzeugs geblockt. Tesla ist da wesentlich robuster aufgestellt.

Elektroauto und KI ergeben unbeherrschbare Komplexität

Auch Andy Whydell von ZF Friedrichshafen sieht die Grenzen der Beherrschbarkeit, die neue Architekturen für Autos erfordern. Als Haupttreiber sieht er hier die Varientenvielfalt: Durch die Permutationen der verschiedenen Komponenten und Steuergeräten sind viele Fahrzeuge, die vom Band rollen, Unikate.

In einigen Fällen betrachtet die Automobilindustrie nicht mehr die Gesamtanzahl der Codezeilen als Maß für die Komplexität, sondern die Anzahl der Softwareentwickler, die ein OEM oder Zulieferer beschäftigt, um aktuelle und zukünftige Anforderungen zu erfüllen.

Andy Whydell, Vice President, Product Planning, Vehicle Systems at ZF Group

Ein erster wichtiger Schritt ist die Reduzierung der Steuergeräte, um Probleme bei der Integration zu minimieren. Doch das bedeutet, dass viel Software von Steuergeräten nicht ohne weiteres in einer Serverarchitektur eingesetzt werden kann.

Fazit: Die Neuen haben es leichter

Trotz der enormen Anstrengungen der etablierten OEMs stellt sich die Frage, ob Firmen wie VW, Daimler oder BMW die Kurve schaffen. Es wird enormen Widerstand aus den eigenen Reihen geben um an den Errungenschaften der Vergangenheit festzuhalten. Um den Vergleich mit der Smartphone-Industrie zu ziehen: Nokia hätte das iPhone erfinden können, aber Apple hat es getan. Werden etwas ähnliches in der Automobilindustrie erleben? Die Zeit wird es zeigen.

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Michael Jastram

Creator and Author of SE-Trends