Das Agile Manifest wird 20 Jahre: Was kommt als nächstes?
Das Agile Manifest ist zwanzig Jahre alt. Gefühlt gibt es Agilität schon eine Ewigkeit, was sicher auch daran liegt, dass Teams Agilität auch schon viel länger praktizieren. Vor zwanzig Jahren bekam das Kind lediglich einen Namen und wurde systematisiert, wodurch Agilität drastisch an Bekanntheit gewonnen hat. Natürlich praktizieren nicht alle Teams Agilität. Und nicht alles, alles, was jemand als „agil“ bezeichnet, ist es.
Aber viel spannender finde ich die Frage: Sind wir „durch“ mit agil? Und falls ja, was kommt als nächstes?
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Das Agile Manifest
Der Einzug von Software in die Produktentwicklung hat die Dringlichkeit, agil zu Arbeiten, drastisch verschärft. In der klassischen Entwicklung wurde auch schon lange mit Iterationen gearbeitet. Da sich Hardware aber nicht so schnell ändern lies (damals jedenfalls) war ein vergleichsweise langer Zyklus für die Iterationen akzeptabel.
Das Problem in der Zeit vor dem Agilen Manifest war jedoch, dass Manager die Lösung für ihre Probleme an der falschen Stelle gesucht haben. Genau darum geht es im Agilen Manifest: Den falschen Kurs korrigieren. Bis dahin versuchten Manager, die Herausforderungen mit Prozessen, Dokumentation, Verträgen und Plänen zu lösen. Die Hoffnung der Manager war, dass noch mehr davon irgendwann zum Durchbruch führen würde.
Das Veröffentlichen des Agilen Manifests war wie das Ziehen der Notbremse: „Wir sind auf dem falschen Weg“.
Das hat funktioniert, und unter diesem Aspekt ist das Agile Manifest ein voller Erfolg. Das Manifest wird in vielen Aspekten kritisiert, teilweise zurecht. Das hat aber damit zu tun, dass das Agile Manifest als provozierender Vierzeiler konzipiert wurde, um auf ein großes Problem hinzuweisen. Die Autoren haben es auch nicht als etwas neues, revolutionäres gesehen. Statt dessen sollte es signalisieren: „Back to the roots“.
Die agile Transformation geht weiter
Die Transformation zu den agilen Werten, um es mal so auszudrücken, ist noch lange abgeschlossen. Denn bei Agilität handelt es sich um ein Mindset, welches überall dort benötigt wird, wo hohe Komplexität herrscht. Die klassischen Vorgehensweisen haben immer dort gut funktioniert, wo die Komplexität überschaubar ist – und funktionieren dort auch immer noch gut. Daher ist Komplexität der Treiber für Agilität: Komplexität von Produkten, Abläufen, Organisationen und vielem mehr. Agilität gibt Experten die Freiheit, Probleme so zu lösen, wie sie es für richtig halten.
Die agile Transformation ist noch lange nicht vorbei und hat lange vor dem Agilen Manifest begonnen.
Das Agile Manifest stimmt so nicht!
Da das Agile Manifest eine Notbremse war, haben die Autoren es auch überspitzt formuliert. Hinzu kam noch, das manche Menschen es falsch gelesen haben – sowohl absichtlich als auch unabsichtlich. Der Klassiker ist, das Manifest als Entschuldigung zu benutzen, gar keine Dokumentation zu schreiben. Natürlich brauchen wir Dokumentation, sie darf aber nicht zum Selbstzweck werden.
Das Selbe gilt auch für Werkzeuge. Moderne Produkte können ohne Werkzeuge gar nicht mehr entwickelt werden. Allerdings erinnere ich selbst die Zeit von Ende der Neunziger, wo viele Werkzeuge übermäßig kompliziert gestaltet waren, wodurch sich deren Mehrwert schnell in Luft aufgelöst hatte.
Die Zukunft: Werkzeuge, Modellierung und Traceability
Ich wage mal die folgende These für die Zukunft: Die Transformation zur Agilität wird uns noch lange begleiten. Allerdings ist das Agile Manifest in der jetzigen Form nicht mehr gültig, denn es war ein Kind seiner Zeit.
Um Agilität auch für moderne Produkte umsetzen zu können, benötigen wir unbedingt Modelle. Doch Modelle enthalten (unter anderem) einen großen Teil an Dokumentation. Wenn Modellierung richtig praktiziert wird, kann zum Beispiel Dokumentation direkt aus dem Modell generiert werden. Weiterhin ist das Modell für alle Stakeholder eine Form der Dokumentation. Ein Modell gibt uns die Möglichkeit, für jeden Stakeholder die passende Sicht zu generieren, was das Modell als lebende Dokumentation umso nützlicher macht. Richtig eingesetzt ist es natürlich noch viel mehr.
Ein Modell ist auch zum Beherrschen der Komplexität essentiell, denn die Bedeutung und Beziehung der Modellelemente zueinander ist klar definiert. Auch heute haben wir schon sauber definierte Beziehungen, wie sie beispielsweise jedes Anforderungsmangementwerkzeug ermöglicht. Allerdings ist hier die Bedeutung der Modellelemente nicht klar, es sind einfach Blöcke mit Text, in denen alles mögliche stehen kann.
Der Inhalt von Anforderungstexten kann nicht so ohne weiteres maschinell verarbeitet werden. Eine Lösung für dieses Problem ist die automatische Verarbeitung geschriebener Sprache mit KI, wie ich es aktuell mit meiner Entwicklung Semiant verfolge.
Semiant – Virtual Quality Assistant
Ein weiteres Problem heute ist die Nachverfolgbarkeit. Viele Werkzeuge unterstützen Traceability in einem klar definierten Bereich. Zum Beispiel ermöglicht eine Plattform wie gitHub die Traceability zwischen User Stories, Code Commits und Issues. Doch eine werkzeugübergreifende Traceability ist immer noch schwer zu realisieren.
Beide Herausforderungen – Modellierung und Traceability – lassen sich nur mit entsprechenden Werkzeugen in den Griff bekommen.